Die Evolution des Jeansstoffs vom Goldgräber-Liebling zum Haute-Couture-Textil liest sich besser als jede Cinderella-Story. Der Genfer Mikael Vilchez leistet mit seinem Label Forbidden Denimeries seinen Beitrag dazu, dass Denim anderen Stoffen den Rang abläuft.
Fotos © Elizaveta Giray, Nicolas Schopfer
FACES: Wie beschreibst du dein Label und dessen Philosophie?
Mikael Vilchez: Forbidden Denimeries erfindet Denim durch moderne und nachhaltige Stücke neu. Meine Philosophie besteht darin, den Menschen Kleidung zu bieten, die ebenso originell wie stilvoll und dabei wertvoll und funktional ist. Die Ästhetik von Forbidden Denimeries ist eklektisch und entwickelt sich dabei ständig weiter, wobei ich mich stets von der Suche nach der zeitlosen Schönheit dieses fabelhaften Materials leiten lasse: Denim.
F: Welche Fähigkeiten hast du an der HEAD Genève erlernt, und wie wichtig sind solche Modeschulen, um einer DesignerIn die Grundlagen für eine erfolgreiche Karriere in der Mode zu vermitteln?
MV: HEAD hat mich technische Disziplin gelehrt und mir die Augen für die Unbegrenztheit meiner Kreativität geöffnet. Die größte Stärke dieser Schule besteht
darin, dass sie ihren SchülerInnen erlaubt, ihr eigenes kreatives Universum zu entwickeln, ohne zu versuchen, sie in eine bestimmte Richtung zu schubsen. Dazu lehren sie dich die besten Methoden des Designs. Allerdings ist es nicht die Schule, die eine erfolgreiche Karriere garantiert, sondern andere Faktoren wie Wille, Mut, Motivation und Glück.
F: Du hast mit deinen Kollektionen bereits einige Preise gewonnen. Wie wichtig sind diese für dich und den Erfolg deines Labels?
MV: Es ist immer eine Ehre, einen Preis zu gewinnen. Aber das Produkt und die Geschichte, die man erzählt, sind für die KundInnen am interessantesten.
F: Ein ganzes Jahr lang hast du bei Balenciaga gelernt. Was ist die wichtigste Lektion, die du dort während deines Praktikums mitgenommen hast?
MV: Ausdauer und vor allem Bescheidenheit gegenüber den NäherInnen sowie den SchnittmacherInnen, die in der Werkstatt der Marke arbeiten.
F: Welche Idee steckt dahinter, dich ganz dem Denim-Stoff zu widmen?
MV: Denim war in vielen Epochen ein Symbol für verschiedene Kämpfe um Emanzipation. Außerdem ist es ein Material, das mit zunehmendem Alter immer schöner wird. Abgesehen von Leder ist es meiner Meinung nach das einzige Textil, das mit einer solchen Schönheit und einem solchen visuellen Reichtum altern kann. Die sehr eindeutigen Codes von Jeans erlauben ein endloses Spiel mit Denim.
F: Was ist der erste Schritt, wenn du eine neue Kollektion entwirfst?
MV: Alles beginnt mit den Frauen, meinen Musen, die mein Leben in irgendeiner Form geprägt haben. Normalerweise huldige ich diesen Frauen, die meine Identität beeinflusst haben.
F: Womit behandelst du deine Kleidungsstücke, um ganz individuelle Looks zu erhalten?
MV: Ich beschäftige mich intensiv mit dem Schnitt, der Passform und der Veredelung. Das ist es, was den Unterschied zwischen einem billigen und einem Luxus-Kleidungsstück ausmacht.
„Fast Fashion ist für die Tonne.“
F: Wie lässt sich Denim nachhaltig herstellen?
MV: Mittels einer Produktion, die auf ihren Wasserverbrauch und die Arbeitsbedingungen ihrer ArbeiterInnen achtet und dabei auf Chemikalien beim Waschen verzichtet. Wichtig ist auch die Wahl des Denims. So sind recyceltes oder Organic Denim Alternativen für eine nachhaltigere Herstellung.
F: Was ist das Beste dabei, dein eigenes Label zu haben?
MV: Dass ich frei entscheiden kann, in welche Richtung ich gehen will.
F: Was tust du, wenn dich die Muse einfach nicht küsst?
MV: Ich gehe mit meinem Hund in der Natur spazieren. Das ist meine Art, zu meditieren.
F: Was ist die größte Schande in der Modeindustrie?
MV: Sich selbst nie in Frage zu stellen.
F: Entgegen dem, was die Öffentlichkeit über die Modebranche zu wissen glaubt: Wie ist die Industrie tatsächlich?
MV: Dieses Thema beschäftigt mich gerade sehr. Vor Kurzem habe ich beschlossen, mir eine Auszeit zu nehmen, um meine Batterien aufzuladen. Der Umstand, dass mehrere Boutiquen Forbidden Denimeries in ihrem Sortiment verkauften, machte mich zwar stolz, zwang mich aber auch, den typischen Rhythmus der Branche anzunehmen und die Jahreszeiten in der Mode zu berücksichtigen. Dieser Druck hat mich bald ausgelaugt, und ich habe beschlossen, meine Entwürfe außerhalb des Modekalenders zu präsentieren und sie nur dann zu zeigen, wenn ich mich bereit fühle. Forbidden Denimeries war meine Abschlusskollektion. Ich habe sie auf die künstlerischste Art und Weise entworfen, die möglich ist – angesiedelt irgendwo zwischen extremer Handwerkskunst und Performance. Ich vermisse diese künstlerische Herangehensweise und würde gerne dahin zurückkehren, egal, was es mich kosten mag. Ein seelenloses Kleidungsstück nur um des Kommerzes willen zu entwerfen, ist für mich nicht interessant. Die Boutiquen haben mich meiner Kreativität und Professionalität wegen ausgesucht, weshalb ich mir sicher bin, dass sie aufgeschlossen genug sind, um gemeinsam mit mir daran zu arbeiten, die Modeindustrie vielfältiger, persönlicher und schlussendlich menschlicher zu machen.
F: Welche Person der Mode bewunderst du?
MV: Cristóbal Balenciaga. Für mich ist er der größte Modeschöpfer, den die Mode je gesehen hat. Ich habe ihn immer für seinen Sinn für Schnitte bewundert und für seinen zeitlosen Stil, der zwar luxuriös ist, ohne es aber zu übertreiben.
F: Welches Vorurteil über die Modebranche ist falsch?
MV: Dass darin zu arbeiten ein einfacher und lustiger Job ist. Es ist genau das Gegenteil. Das Wichtigste ist, dass man weiß, warum man sich für einen Job in der Modebranche entschieden hat. Sonst kann man nicht mithalten. Ich habe mich dafür entschieden, meine Marke zu kreieren, weil die Kreation für mich wesentlich ist.
F: Sind Fashion Weeks überhaupt noch wichtig?
MV: Für mich nicht mehr. Meiner Meinung nach sind Fashion Weeks wichtiger für die Industrie und ihre ArbeiterInnen als für die Menschen und KundInnen – es ist ein Dilemma.
F: Ist es notwendig, Kollektionen in solche für Frauen und Männer zu unterteilen?
MV: Nein, es sei denn, die Passform muss angepasst werden, um den unterschiedlichen Körpertypen hinsichtlich Brust, Hüfte oder beispielsweise in Sachen Taille gerecht zu werden.
F: Welche Entwicklung in der Modeindustrie bereitet dir Sorgen?
MV: Die ungebremste Entwicklung von Fast Fashion. Fast Fashion ist für die Tonne. Es wird Zeit, dass die Menschen lernen, Geld zu sparen und nachhaltige Kleidung zu kaufen.
F: Ist der Designberuf mehr Kunst oder Handwerk?
MV: Das ist sehr persönlich und hängt von der jeweiligen Person ab. Ich bin beides und sehr daran interessiert, meine künstlerische Seite weiterzuentwickeln, indem ich andere rein plastische Bereiche wie Malerei oder Bildhauerei, Installation und Video erkunde. Ich würde gerne bald eine Ausstellung in einer Galerie machen.
F: Wie beschreibst du die Schweizer Modeszene?
MV: Eklektisch und talentiert, leider jedoch noch zu wenig bekannt.
F: Werden Schweizer DesignerInnen in unserem Land genügend unterstützt?
MV: Leider ist es in der Schweiz immer noch sehr schwierig, als DesignerIn finanzielle Unterstützung zu bekommen. Selbst wenn man seine Marke bereits in verschiedenen Boutiquen und Shops verkaufen kann, dauert es lange, bis man Subventionen erhält und das, obwohl die Produktion dann viel dringender ist.
F: Wie stellst du dir die Welt in zehn Jahren vor?
MV: Ein Teil von mir hat große Angst davor, wie die Welt in Anbetracht der aktuellen Ereignisse und der globalen Erwärmung aussehen könnte. Aber ich habe Vertrauen in die Menschheit, die dennoch manchmal schwere Schocks erleiden muss, um sich in die richtige Richtung zu entwickeln…
F: Wo kaufst du deine Kleidung?
MV: Secondhand oder von nachhaltigen Marken.
F: Welches Kleidungsstück würdest du nie weggeben?
MV: Meine Levis-Jeansjacke, die ich neu entworfen habe.
F: Du hast drei Wünsche frei. Was wünschst du dir?
MV: Weltfrieden. Weltfrieden. Weltfrieden.