Nina Yuuns Kleider wirken so locker designt wie aufgeschlagene Sahne. Die Art, die man auf dem Kuchen will, dem Eis und am liebsten sogar zum Kaffee. Denn Yuuns Entwürfe vereinen Minimalismus mit Raffinesse – eine Kombination, die der Schweizer Modeszene ihren Pfeffer verleiht.
FACES: Was können Schweizer von Koreanern lernen?
Nina Yuun: Kochen! (lacht) Nein, im Ernst, das ist eine schwierige Frage. Zum einen finde ich es unpassend, eine ganze Gesellschaft zu verallgemeinern – letztlich ist jedes Individuum anders. In meiner Arbeit geht es ja gerade um solche Stereotypen. Wenn ich die Frage so beantworten muss, denke ich, dass die Schweizerinnen und Schweizer tendenziell sehr strukturiert, organisiert und detailverliebt sind, was mich sehr beeindruckt. Von Anbeginn war ich super beeindruckt davon, wie sauber hier alles ist – sogar die Abfalleimer am Bahnhof werden regelmässig geputzt. Durch den hohen Wohlstand könnte ich vielleicht sagen, dass die Schweizer manchmal etwas zu viel jammern über Arbeit, Immigranten, Wetter und so weiter. Die Schweiz ist so reich und erfolgreich und wunderschön, da können andere Länder nur neidisch sein. In der koreanischen Gesellschaft ist es eher verpönt, über seine Lebensumstände zu jammern – das macht die Menschen widerstandsfähiger. Ich frage mich jedoch oft, ob dies gesund ist für die Menschen…
F: Was hat dich nach deinem Umzug aus Korea in die Schweiz am meisten erstaunt?
NY: Wo sind all die Menschen? (lacht) Ich war überrascht, dass ganze Dörfer hier „ausgestorben“ scheinen. In Seoul findet man viele Menschen auf den Strassen – 24/7. In der Schweiz habe ich aber Schafe gesehen, die inmitten des Dorfes grasen. (lacht)
F: Was vermisst du an Korea?
NY: Das Essen, meine Familie und Freunde. Die koreanische Küche ist sehr vielfältig – das vermisse ich sehr. Dadurch habe ich mir hier in der Schweiz das Kochen selbst beigebracht.
F: Wer, wo oder was ist zuhause?
NY: Seit ich in der Schweiz bin, habe ich mir dazu viele Gedanken gemacht. Es war auch die Inspiration meiner Frühlings-/Sommerkollektion 2020: „Heimat“. Ich denke, es gibt keine einfache Antwort darauf – aber wenn ich es auf das essentielle herunterbrechen muss, sind es die Menschen, die mir am meisten bedeuten. Wo diese Menschen sind, fühle ich mich zuhause.
F: Was fasziniert dich an Kleidung?
NY: Dass man durch Kleidung seine eigene Haltung ausdrücken kann: den Stil aber auch seine Werte.
F: Was bedeutet es für dich, nachhaltig einzukaufen?
NY: Es ist unglaublich wichtig, den Lebenszyklus der Kleidung zu kennen. Wie wurde etwas produziert, wie lange kann man das Stück tragen – was oft eine Qualitäts- und Preisfrage ist – und wo landet das Stück nach dem Gebrauch. Deshalb stehe ich „Fast Fashion“ gegenüber sehr kritisch. Es kann so nicht weitergehen, wenn wir mit gutem Gewissen an die nächste und übernächste Generation denken.
F: Welchen Anspruch stellst du an dich und deine Mode?
NY: Ich möchte Frauen „tägliche Eleganz“ ermöglichen – gepaart mit einer gewissen Bodenständigkeit und Nachhaltigkeit. Ich hoffe, dass meine Stücke sehr lange im Kleiderschrank der Trägerin bleiben und immer wieder passend kombiniert werden können – egal, welcher Trend gerade vorherrscht.
F: Was ist deine Definition von Trends?
NY: Trends sind ein Teil eines gesamten Szenarios: Sie sind aufregend, bleiben aber nicht. Wir sollten sie manchmal kritisch hinterfragen können.
F: Mit welchen Worten beschreibst du die Mode-Branche?
NY: Als aufregende, vielschichtige, nonverbale Kommunikation.
F: Welchem Problem muss sich die Mode-Branche aktuell stellen?
NY: Nachhaltigkeit. Viele Brands betreiben eine Art „green washing“. Berühmte Designer, die einen Nachhaltigkeitsanspruch haben, werden zur Massenware mit künstlichen Stoffen und chemischen Prints. In der Mode benötigt Nachhaltigkeit zunächst eine grosszügige Portion Transparenz. Und wir alle, als Designer, sind in einem ständigen Lernprozess, wie wir nachhaltiger arbeiten können.
F: Was ist dein modisches No-Go?
NY: Wenn Kleidung in einem Museum landet, ohne jemals im wirklichen Leben getragen worden sein. Mode muss für Menschen gemacht werden.
F: Erinnerst du dich an den Moment, in dem du deine Kleidung zum ersten Mal an jemandem auf der Strasse gesehen hast? Wie war das für dich?
NY: Ja, ich erinnere mich genau. Ich war auf dem Weg zu meinem Atelier und habe eine ältere Dame mit einem Mantel aus meiner ersten Kollektion gesehen. Ein unbeschreibliches Gefühl! Sie sah wunderschön aus.
F: Was ist das Schöne daran, in und mit Mode zu arbeiten?
NY: Ständige Inspiration. Sie zwingt mich dazu, für Eindrücke immer offen zu sein und mich als Designer und Mensch zu entwickeln.
F: Was sind die Schattenseiten der Mode?
NY: Wortwörtlich: physische Erschöpfung! Ich erinnere mich fast gar nicht mehr an meinen letzten richtigen Urlaub.
F: Welcher Herausforderung stellst du dich aktuell am meisten?
NY: Zeitmanagement und Kostenkontrolle.
F: Die Schweiz hat keine klassische Fashion Week. Bedauerst du das?
NY: Die Mode Suisse kommt nah dran! Was Yannick Aellen und sein Team aufgebaut haben, ist fantastisch für die Schweizer Mode-Branche. Ich finde es sehr spannend, wie verschieden die Labels an der Mode Suisse sind – eine wirkliche Bereicherung für die Schweizer Mode-Szene. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich meine Mode hier regelmässig zeigen darf.
F: Was bedeutet dir deine Teilnahme an der Mode Suisse?
NY: Es bedeutet mir sehr viel, vor allem, weil ich Immigrantin bin. Es reflektiert eine offene, tolerante Schweiz.
F: Welcher Teil einer Modenschau gefällt dir am besten? Und welcher Aspekt stresst dich am meisten?
NY: Das erste Anpassen meiner Kollektion an die Models. Dann sehe ich meine ursprüngliche Idee erstmals in Wirklichkeit. Was mich am meisten stresst, ist der Druck, sich immer weiterzuentwickeln und jede Kollektion noch etwas besser zu machen. Vielleicht lerne ich irgendwann, damit besser umzugehen – es gehört einfach zum Beruf.
F: Wie beschreibst du das Verhältnis zu anderen Schweizer Brands und Designern?
NY: Durch die Mode Suisse habe ich etliche andere Labels und Designer kennengelernt. Durch die Tatsache, dass unsere Stile so vielfältig sind, stärken wir uns und den Modeplatz Schweiz. Und letztlich sind so viele großartige Menschen darunter, mit denen man sich super austauschen kann.
F: Hältst du beim Entwerfen immer den Konsumenten im Auge?
NY: Natürlich. Ich habe immer verschiedene Menschen vor meinem geistigen Auge; starke Frauen, die ich schätze und bewundere.
F: Wem eiferst du nach?
NY: Inspirationen und Erfahrungen aus meinem täglichen Leben. In der kommenden Frühlings-/Sommerkollektion ging es zum Beispiel um das Konzept „Heimat“: ein wahrlich individuelles Gefühl, das sich über Zeit und Lebenssituation auch immer wieder ändern kann.
F: Welches Kleidungsstück hängt am längsten in deinem Kleiderschrank?
NY: Eine leichte Denimbluse, die ich selbst kreiert habe.
F: Wenn du nicht Designerin geworden wärst, was würdest du stattdessen tun?
NY: Vielleicht wäre ich Köchin? (lacht) Meine Grossmutter ist Modedesignerin, ich habe dies praktisch in die Kinderschuhe gelegt bekommen. Als kleines Mädchen habe ich viele Stunden in ihrem Atelier verbracht.
F: Was ist wichtiger: Schnitt oder Stoff?
NY: Der Schnitt mit einem qualitativ hochwertigen Stoff.
F: Was trägst du selbst im Alltag?
NY: Einen Casual-Mix mit Stücken aus meinen aktuellen und vergangenen Kollektionen.
F: Wie hat sich das Verhältnis der Konsumenten zur Mode in den vergangenen Jahren verändert, und was bedeutet dieser Wandel für dich?
NY: Das Bewusstsein der Verbraucher hat stark zugenommen. Sie möchten wissen, woher der Stoff kommt, wie das Kleidungsstück entstanden ist – die ganze Markengeschichte. Ich denke, dass das eine grosse Chance für uns Designer ist, weil wir eine authentische Geschichte haben, die wir den Kunden kommunizieren können.
F: Wo produzierst du deine Mode, und kennst du jede Hand, durch die deine Kollektionen geht?
NY: Ich arbeite mit ausgewählten Schneidern in Korea zusammen. Das sind alles unabhängige Kleinbetriebe, die meistens schon über 30 Jahre in der Branche tätig sind. Entsprechend gut ist die Qualität. Ich kenne oft die gesamte Familie, und wir tauschen uns fast täglich aus. Viele „meiner“ Schneider sind sehr stolz, dass ihre Stücke in Europa verkauft werden. Bei den Stoffen schaue ich, dass ich zertifizierte Fabrikate einkaufe.
F: Was tust du, wenn du keine Inspirationen findest?
NY: Dann mache ich, was ich möchte – ich gehe in Museen, schaue Filme oder mache einen kleinen Ausflug. Die Inspiration kommt dann zum Glück irgendwann automatisch.
F: Wer soll deine Muse oder das Gesicht von Nina Yuun sein?
NY: Eine Frau, die viel in ihrem Leben erlebt und ihren gerechten Platz in der Gesellschaft erkämpft hat, sich für andere Kulturen, Länder und Menschen interessiert und Wert auf ästhetisch Ansprechendes legt. Es gibt unzählige Frauen, die diesem Bild entsprechen.
NiNA YUUN
Die Treppe hinunter zu Nina Yuuns Atelier in Burgdorf ist steil. Ebenso wie ihr Aufstieg aufs Schweizer Mode-Parkett, auf dem die Koreanerin seit 2015 mit ihrem eigenen Label mitmischt. New Jersey und Seoul sind ihre Heimat, bevor die mittlerweile 30-Jährige in die Schweiz zieht. Es ist die Liebe, die sie lenkt, und eine Vision, die sie mitbringt: diejenige vom eigenen Label. Im Herbst 2018 zeigt Nina Yuun ihre Mode zum ersten Mal am grössten Schweizer Mode-Event, der Mode Suisse. In Paris, Shanghai, Peking, Dunedin, San Francisco und Seoul klatschte das Publikum schon über ihre Kollektionen, die nicht selten von ihrem koreanischen Zuhause inspiriert sind. So trägt ihre Sommerkollektion 2020 sogar den entsprechenden Titel – „Heimat“ – und zeigt dekonstruierte Blusen oder weite Hosen, die auf Schweizer Strassen genauso für Aufregung sorgen wie auf koreanischen.