Man wird das Gefühl nicht los, dass Simon Lohmeyer die Glücksformel geknackt hat. Das mag an der Unbeschwertheit seiner Fotos liegen, in deren Essenz Freude steckt. Oder an seiner Art, das Leben als das zu sehen, was es ist: eine Chance. Gerade kurvt der Bayer im VW-Bus durch die Welt und hält die Füße höchstens kurz still, um uns unsere brennendsten Fragen zu beantworten.
FACES: Hat Fotografie mehr mit Kunst oder Handwerk zu tun?
Simon Lohmeyer: Fotografie ist in ihrer wahren Form Kunst, das Handwerk kommt von ganz alleine. Ich glaube nicht daran, dass man Fotografie lernen muss. Man hat eine Idee und arbeitet sich an das gewünschte Motiv heran. Unscharf, verwackelt und auch mal ein hoher ISO sind Teil dieser Kunst – Leute, die das als schlechtes Handwerk betrachten, sind engstirnig.
F: Fotografierst du digital oder analog und weshalb?
SL: Als Kind der digitalen Fotografie war ich von Beginn an stark davon beeinflusst. Mit der Zeit haben mich die Mengen und das unerschöpfliche Ausmaß der digitalen Welt sehr ermüdet. Ich habe vom Autofokus zum manuellen Fokus gewechselt und dabei in der analogen Fotografie meine große Liebe gefunden. Bei vielen meiner Nudes muss alles ziemlich schnell gehen, weshalb ich mich beispielsweise für mein Nackedei-Foto in Rom vor dem Trevi-Brunnen für digital entschieden habe. Aber wenn ich alleine mit einem unbekleideten Model auf Island an einem verlassenen Vulkanstrand stehe, ist auch genügend Zeit für analog. Ich liebe beides.
F: Was war deine erste Kamera, und wie kamst du dazu?
SL: Meine erste Kamera bekam ich als fast Zehnjähriger von meinem Vater. Als junger Hüpfer waren meine FreundInnen und ich große Fans des Jackass-Hypes. Mit der Kamera haben wir viele Dinge nachgestellt. Heute wäre das Material super für lustige Pannen-Clips und -Fotos.
So entsteht ein gutes Foto
F: Was ist für dich die größte Herausforderung dabei, ein gutes Foto zu schießen?
SL: Die größte Herausforderung ist, den Menschen vor meiner Linse ein vertrauensvolles und gutes Gefühl zu geben, wenn ich jemanden portraitiere oder nackt vor der Linse habe. Das Bild wird nur dann gut, wenn man sich gegenseitig aufeinander einlässt.
F: Welchen Fotograf oder welche Fotografin vergötterst du?
SL: Die zwei Menschen, von denen ich persönlich wohl am meisten lernen durfte, sind Daniella Midenge und Nicolas Guérin. Mit beiden habe ich viel Zeit verbracht. Daniella hat mir beigebracht, wie man sich für den Moment des Shootings in eine Person verliebt; das verleiht einem die Kraft, das Beste aus dem Menschen heraus zu holen. Von Nicolas habe ich gelernt, wie man aus den wohl unspannendsten Momenten ein Meisterwerk produziert. Andere FotografInnen, deren Arbeit ich enorm schätze, sind Ren Hang, Ellen von Unwerth, Tim Walker, Guy Bourdin, Steve McCurry und Harry Gruyaert.
F: Welches berühmte Foto fasziniert dich am meisten?
SL: An berühmten Bildern liebe ich wohl dokumentarische Momente am meisten, die unter anderem unsere Gesellschaft beeinflussen, uns an die Hand nehmen und uns eines Besseren belehren oder eine Zeitenwende hervorrufen. Beispiele wären etwa der Bruderkuss mit Breschnew und Honecker, das Napalm-Mädchen aus Vietnam, die Hinrichtung des Saigon und das Foto, das Neil Armstrong auf dem Mond von seinem Kollegen geschossen hat.
F: Auf welche deiner Kameras hast du am längsten gespart?
SL: Das war wohl meine erste Leica. Das wurde dann auch ein neuer Abschnitt meiner Fotografie – mit Leica begann das Fotografen-Ich damit, sich wirklich zu verfestigen.
Über Aktfotos, die perfekte Location und die Kunst, seinen Models die Nervosität zu nehmen
F: Wie schaffst du es, deinen Models jegliche Nervosität zu nehmen?
SL: Das geht nur, wenn das Model sich in einem absolut sicheren Safe-Space mit mir befindet. Eine aufrichtige Kommunikation und ein respektvoller Umgang sind unumgänglich. Gerade in der Nude-Fotografie wird viel Unfug getrieben. Dennoch hat jeder so seine Eigenheiten. Ich zum Beispiel mache mich beim Fotografieren ab und an ebenfalls nackig, als ausgleichende Gerechtigkeit sozusagen.
F: Wie gelingt ein gutes Aktfoto?
SL: In meiner Fotografie spielt die Location eine große Rolle. Schaffe ich es dann noch, gemeinsam mit meinem Model eine humorvolle, super ästhetische oder sehr natürliche Situation zu kreieren, schaut am Ende in der Regel ein gutes Aktfoto raus.
F: Wie findest du die Locations für deine Aufnahmen, und wo fotografierst du am liebsten?
SL: Das passiert meistens spontan. Auf meinen Reisen übermannt mich dann ein Platz oder eine Situation, und dann beginnt eigentlich die lustigste Aufgabe, jemanden zu finden, der den Moment als mein Nacktmodel füllt. Meistens geht das aber mittlerweile relativ schnell.
F: Wie lange bearbeitest du deine Fotos, bevor du sie veröffentlichst?
SL: Als ich angefangen habe zu fotografieren, habe ich sehr viel mehr Zeit damit verbracht, Bilder zu bearbeiten. Heute erledige ich nur noch meine Farbkorrektur und bin fertig. Man wird ja auch besser darin, genau das zu fotografieren, was man am Ende haben möchte.
F: Woher holst du die Inspiration für deine Fotoprojekte?
SL: Gute Inspiration kann überall herkommen. Aus Filmen und Büchern, aber insbesondere aus dem Moment. Wenn ich eine Location vor mir habe, die mir gefällt, sehe ich das Model vor meinem inneren Auge und weiß genau, wie es sich vor der Kamera zu bewegen hat. Das Posing mache ich fast ausschließlich immer vor – die Models lieben das.
Der Lohn, der Ruhm und gelungenes Posing
F: Wie viel verdient man als professionelle FotografIn?
SL: Eine Obergrenze gibt es nicht.
F: Wer ist wichtiger: die FotografIn oder das Model?
SL: Beides zu gleichem Maße!
F: Wann und wie entstehen die besten Fotos?
SL: In der unbeschwerten Leichtigkeit des Seins, bei guter Stimmung mit tollen Leuten und etwas Musik!
F: Was unterscheidet eine mittelmäßige von einer großartigen FotografIn?
SL: Als ich mit Peter Lindbergh für einen Job für Porsche an der französischen Küste unterwegs war, habe ich von dem wohl bekanntesten Fotografen der Welt gelernt, dass Fotografie nichts damit zu tun hat, welches Foto andere wollen, sondern welches du selbst schießen möchtest. Wenn dir das nicht möglich ist, dann mach das Foto nicht.
F: Du warst selbst Model. Was ist dein bester Tipp für ein gelungenes Posing?
SL: Ganz einfach: Sei du selbst. Wenn sich etwas unwohl anfühlt, ist jedes Posing für den Arsch.
Der Tausendsassa verrät seine Glücksformel
F: Du hast gemodelt, für GQ geschrieben und fotografiert, warst sogar Gastronom mit zwei Bars, hattest bis letztes Jahr deine eigene Kreativagentur und hast mit 30 Jahren ein Buch geschrieben. Was kannst du gar nicht?
SL: Ich bin jetzt für zwei Jahre mit meinem VW-Bus auf Weltreise, um Abstand von dem kommerziellen Leben zu gewinnen, das ich die vergangenen Jahre gelebt habe. Die Reise widme ich all den Dingen, die ich noch nicht kann, aber noch lernen möchte. Als nächstes wird erst mal Gitarre geübt.
F: Woher kommt dein Hunger darauf, so viele unterschiedliche Berufe auszuprobieren?
SL: Es kann anstrengend sein, immer diese Unruhe zu verspüren, wenn ich etwas zu 80 Prozent beherrsche, nur um dann gleich das nächste Fass aufzumachen. Aber hey, was soll ich sagen, so bin ich, und ich mache stets das Beste daraus!
F: Du hast von deiner aktuellen Weltreise gesprochen. Was ist das Tollste am Leben im Van und was das Nervigste?
SL: Nervig gibts nicht – wenn was zwickt, wird es verändert.
F: Was ist am Leben on the road so ganz anders, als man es erwarten würde?
SL: Im Grunde weiß man ja, worauf man sich einlässt. Eine Erwartungshaltung zu haben, finde ich immer kontraproduktiv. Was kommt, das kommt, und damit setze ich mich auseinander.
Zuhause ist dort, wo die Zahnbürste liegt
F: Was entgegnest du Menschen, die den Begriff Travel-Influencer kritisch hinterfragen?
SL: Würde ich auch kritisch sehen. Das Wort „Influencer“ ist mir schon ein Dorn im Auge. Und abgesehen davon: Reisende sollte man nicht aufhalten.
F: Wo hat es dir auf deinen Reisen am wenigsten gefallen? Und wo schickst du uns alle unbedingt hin?
SL: Das Ergebnis seiner Reise bestimmt man selbst. Jeder hatte mich davor gewarnt, in die Slums und Townships in Kolumbien oder Kapstadt zu gehen – keine sehr tröstlichen und aufgeräumten Orte. Dennoch habe ich viel Freude und auch FreundInnen an diesen Orten gefunden und Partys gefeiert, die mehr Emotionen und Ausgelassenheit hatten, als ich sie jemals in den Club in Meatpacking New York, Tulum in Mexiko oder auf Ibiza gespürt habe. Mein liebstes Land ist seit mindestens einem Jahrzehnt Mexiko. Dieses Land birgt so viel Magie, tolles Essen und hat landschaftlich mehr zu bieten, als ich je zuvor erlebt habe. Island ist auch ein fantastischer Ort – so viel frische Luft und Weitblick über eine verrückte und außerirdische Natur.
F: Was vermisst du in der Ferne an zuhause?
SL: Knödel mit Sauce!
F: Du hast in Kapstadt und New York gewohnt, danach in Australien und Mexiko. Wo ist dein Zuhause und weshalb?
SL: Zuhause ist da, wo meine Zahnbürste ist. Als Reisender ist das wohl das Los, das man zieht.
F: In welchem Moment auf deinen Reisen hast du Angst empfunden? Und wann und wo die größte Glückseligkeit?
SL: Wirkliche Angst hatte ich nie. Ich glaube, wenn man sich mit seinen Ängsten nicht auseinandersetzt, wird man sie nie los. Beunruhigend war die erste Nacht in Mexiko Stadt. Ich bin nachts gelandet, und durch all die Grusel-Geschichten, die ich gehört hatte und die mir erzählt wurden, empfand ich alle und jeden als Mörder und Kriminellen. Nichts davon hat sich bewahrheitet – ich bin eineinhalb Jahre in der Stadt geblieben und hatte die beste Zeit meines Lebens.
Die beste Geschichte von unterwegs
F: Welche Begegnung, die du auf deinen Reisen gemacht hast, hat dich am meisten geprägt und beeindruckt?
SL: Meine Zeit auf den Mülldeponien in Kambodscha war am prägendsten. Dort habe ich eine Doku gefilmt und fotografiert, wie Kinder in dieser Umgebung arbeiten und aufwachsen. Das war sehr bewegend und auch unglaublich lehrreich für mein eigenes Handeln.
F: Welche Geschichte von unterwegs kennen bisher nur deine besten FreundInnen?
SL: Die lustigsten Geschichten, die ich mit meinem besten Freund Mario teile, sind die, bei denen wir immer einen Weg finden, uns von der Polizei frei zu quatschen. Ob wir nun im Ausland mal zu schnell, falsch oder unerlaubt gefahren sind – wir haben es grundsätzlich immer geschafft, einen herrlichen Ausweg zu finden. Das ist auch der Grund, weshalb das Wort „Chuzpe“ als Tattoo auf meiner Brust prangt.
F: Wie beschreibst du deine Formel des Glücklichseins?
SL: Leb den Moment, mehr bleibt dir eh nicht. Aber damit habe ich auch ein ganzes Buch gefüllt: „Irre Gut – Deine beste Zeit ist Jetzt“. Das sind über 200 Seiten gefüllt mit Ideen, die dir vielleicht bei deinem Glücklichsein behilflich sein können.
Mehr von Simon Lohmeyer gibt’s unter simonlohmeyer.com oder auf Instagram @simonlohmeyer
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Fotos: © Simon Lohmeyer