Bunte Farben, glatte Oberflächen und Perfektionismus auf ganzer Linie zeichnen die Fotografien von Miles Aldridge aus. Wovon sich der Meister der Pop-Fotografie inspirieren lässt und weshalb er für KI nur ein müdes Schulterzucken übrig hat, verrät er im Interview.
FACES: Ihre Kunst lebt davon, echte Fotografie wie künstlich reproduziert aussehen zu lassen. Fühlen Sie sich im Zeitalter der künstlichen Intelligenz in Ihrer Arbeit bedroht?
Miles Aldridge: Nein, ich fühle mich durch KI weder bedroht, noch bin ich wirklich an ihr interessiert. Ich denke, künstliche Intelligenz ist vielleicht in der Lage, die kommerzielle Fotografie zu ersetzen, aber niemals die Kunst, da diese auf dem sich ständig ändernden menschlichen Geist basiert.
FACES: Wie gehen Sie denn mit der Allgegenwärtigkeit von KI um?
Miles Aldridge: Gar nicht, ich versuche, sie so gut wie möglich zu ignorieren. Es ist mir bewusst, dass dieser Ansatz mit Risiken verbunden ist, aber das spielt für mich keine Rolle.
Mit Elton John hinter der Bühne
FACES: Ihre Eltern hatten sehr berühmte FreundInnen, die Ihre Familie häufig zuhause besucht haben. Haben diese Begegnungen mit so bekannten Personen Ihre Definition von Prominenz geprägt?
Miles Aldridge: Mein Vater war ein berühmter Illustrator und arbeitete mit vielen wichtigen MusikerInnen der 60er und 70er Jahre zusammen. The Beatles, The Rolling Stones, The Who, Elton John… Als ich neun Jahre alt war, begegnete ich Elton John backstage und tauchte dabei in diese außergewöhnliche Welt aus Wahnsinn, Brillanz, Dekadenz und Prominenz ein. Prominent zu sein, hat heute eine ganz andere Bedeutung, wobei ich dem zustimme, was Andy Warhol einmal prophezeite: „In der Zukunft wird jeder während 15 Minuten berühmt sein.“
FACES: Bevor Sie mit der Modefotografie begannen, haben Sie lange Musikvideos gedreht. Inwiefern hat Ihnen die Erfahrung beim bewegten Bild dabei geholfen, die Fotografie besser zu verstehen?
Miles Aldridge: Tatsächlich habe ich damals die Regie in Pop-Videos übernommen, weil ich eigentlich Filmregisseur werden wollte. Während dieser Arbeit habe ich allerdings gemerkt, wie wenig mich die Bands tatsächlich als Protagonisten interessierten, und ich strebte viel eher danach, selbst einen Kurzfilm zu produzieren. In diesen Filmstudios zu arbeiten, gab mir das Selbstbewusstsein, mit Props, Licht und aufwändigen Kulissen umgehen zu können, die ich für meine Fotografie benötige.
Bilder, Shootings und Kompositionen
FACES: Ihre Fotografien verlangen stets nach viel Vorbereitung. Wie gehen Sie dabei vor, und haben Sie stets eine klare Vorstellung von den Bildern, den Kulissen und dem Setting, bevor Sie die Kamera zücken?
Miles Aldridge: Bevor ich mit dem Fotografieren loslege, bringe ich meine Ideen in Form von Zeichnungen aufs Papier, um deren Kompositionen, die Lichtverhältnisse und die Körpersprache zu verstehen, die das Resultat ausmachen sollen. Im Studio kann es allerdings sein, dass ich alles nochmals über den Haufen werfe, da ich es liebe, auf das zu reagieren, was ich durch die Linse meiner Kamera sehe. Das bedarf manchmal auch einer Anpassung meiner Ideen.
FACES: Verstehen Sie Ihre Fotografie mehr als Kunst oder als Handwerk?
Miles Aldridge: Ich glaube, Kunst und Handwerk gehen Hand in Hand, egal, ob man nun einen Film dreht, fotografiert oder die Sixtinische Kapelle bemalt.
Eine Ode an die Popkultur
FACES: Ihre aktuelle Ausstellung „Virgin Mary. Supermarkets. Popcorn“ ist eine Ode an die Popkultur. Für Ihre Fotografie ließen Sie sich von zahlreichen Filmen und deren RegisseurInnen inspirieren. Gibt es Filme, die Sie sich immer wieder aufs Neue ansehen, und könnten Sie sich auch vorstellen, selbst einen Spielfilm zu drehen?
Miles Aldridge: Fellinis „La Dolce Vita“ ist nach wie vor mein Lieblingsfilm, und das ist eigentlich etwas seltsam, weil er im Gegensatz zu meinen knallbunten Fotografien ja schwarz-weiß ist. (lacht) Ich liebe es einfach, wie Fellini jeden Aspekt der Gesellschaft betrachtet und beleuchtet: Dabei geht es ums Berühmtsein, um Mode, Beziehungen, die Kirche oder den Intellekt, und Fellini verpackt das alles mit unglaublicher Klarheit und Witz. Ich hätte große Lust darauf, selbst einen Film zu realisieren. Tatsächlich habe ich sogar bereits ein Drehbuch geschrieben, aber ich zweifle daran, dass dieses wirklich etwas taugt.
FACES: Welche Stereotypen in unserer Gesellschaft nerven Sie am meisten, und darf man damit in der heutigen Zeit überhaupt noch spielen?
Miles Aldridge: Ich verstehe meine Arbeit nicht als Spiel mit Stereotypen, sondern als Ausdruck extremer Beispiele von Individuen, deren Existenz ich in Frage stelle. Ich halte es da mit einem Zitat von F. Scott Fitzgerald: „Die einsamsten Momente im Leben sind jene, in denen man dabei zusieht, wie die eigene Welt zusammenbricht und dabei nichts weiter tun kann, als ins Leere zu starren.“
FACES: Wie erzeugen Sie die Dramatik in Ihrer Fotografie?
Miles Aldridge: Ich greife dabei auf Filme von Regisseuren wie Ingmar Bergman, Rainer Fassbinder und David Lynch zurück sowie auf die Texte von Henrik Ibsen, Anton Tschechow und August Strindberg, um Bilder über Momente der Krise und Selbstoffenbarung zu schaffen.
Makellose Gesichter und das Verständnis von Schönheit
FACES: Ob in der Werbung oder auf Instagram: Überall lachen uns makellose Gesichter entgegen, die unser Verständnis von Schönheit nachhaltig beeinflussen. Diese glattpolierte Schönheit ist auch Teil Ihrer Kunst. Was entgegnen Sie KritikerInnen, die diese plakative Auffassung von Schönheit kritisieren?
Miles Aldridge: Vieles von dem, was ich in meinen Fotografien verarbeite, findet seine Vorbilder in Hollywood, Pop Art oder der klassischen Kunst. Meine Kunst reflektiert diese Obsessionen – und ja, auch jene, die Schönheit betreffen.
FACES: Ihre Kunst lebt von den lebendigen Farben. Wie stellen Sie die Farbpalette für Ihre Shootings zusammen, und welche Farben würden Sie niemals verwenden?
Miles Aldridge: Die Inspirationen für die Farben, die ich in meinen Fotografien wiedergebe, sind stets inspiriert von Gemälden und der echten Welt. Einmal habe ich mir beispielsweise ein Gemälde von Francis Bacon angesehen, dessen Farbkombinationen analysiert und für mich daraus eine eigene Palette kreiert. Ein andermal habe ich bei einer Reise nach Paris einen dieser TouristInnenbusse gesehen und sofort fotografiert, weil mich dessen grüne und gelbe Hülle so faszinierte. Von Erdtönen wie Braun oder Ocker halte ich mich allerdings fern, wobei der Kontrast zu Kaugummi-Pink in der Tat funktionieren könnte.
FACES: Man findet Ihre Kunst in zahlreichen sehr bekannten Museen. Besuchen Sie Ihre eigenen Ausstellungen, und welches Museum sollte man Ihrer Meinung nach mindestens einmal im Leben gesehen haben?
Miles Aldridge: Ich genieße es sehr, auf meinen Ausstellungen mit den BesucherInnen zu sprechen oder sie dabei zu belauschen, wenn sie über meine Kunst fachsimpeln. Natürlich beantworte ich auch Fragen, wenn mich einmal jemand erkennt. Persönlich bin ich sehr angetan von der Tate Britain, da mich mein Vater oft dahin mitgenommen hat, als ich noch ein Kind war. Zudem habe ich das Museum oft besucht, um mich als Kunststudent davon inspirieren zu lassen.
Mal vor, mal hinter der Kamera
FACES: Es standen schon viele SchauspielerInnen vor Ihrer Kamera. Würden Sie sagen, Menschen, die schauspielern können, sind die besseren Models, weil sie in der Lage sind, in jede Rolle zu schlüpfen? Oder ist eher das Gegenteil der Fall, weil sie dabei ständig versuchen, ihre eigene Persönlichkeit zu überdecken?
Miles Aldridge: Ich liebe es, mit SchauspielerInnen zu arbeiten, weil sie in der Lage sind, meine Regieanweisungen oder Hinweise schnell umzusetzen. Zudem scheuen sie sich nicht davor, ihre eigenen Interpretationen miteinzubringen, und dabei zuzusehen, wie jemand vor meiner Kamera immer weiter geht, macht einfach Spaß.
FACES: Wie hat sich Ihre Vorstellung von der Arbeit einer FotografIn im Laufe der Jahre verändert?
Miles Aldridge: Als ich damals mit dem Fotografieren begann, war das ein echter Beruf, der auch technisches Wissen voraussetzte und nicht nur ein Verständnis von Kunst. Leider übernehmen in unserer digitalisierten Welt Digitalkameras, künstliche Intelligenz und Photoshop oft die ganze Arbeit, für die früher das menschliche Gehirn zuständig war.
FACES: Sie haben Ihr Handwerk am Central Saint Martins College gelernt. Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, an einer so renommierten Universität zu studieren, zumal es heutzutage so viele digitale Möglichkeiten gibt, um das Fotografie-Handwerk zu erlernen?
Miles Aldridge: Ich würde jedem empfehlen, eine solche Kunsthochschule zu besuchen. Das sind drei bis vier Jahre, in denen du komplett in die Kunstgeschichte eintauchst, jeden Tag Kunst kreierst und die reale Welt dabei komplett links liegen lassen kannst.
FACES: Die Zukunft ist nur einen Schritt entfernt. Fürchten Sie sich davor oder freuen Sie sich im Gegenteil darauf?
Miles Aldridge: Neue Kunst zu erschaffen, hält mich lebendig. Ich freue mich riesig darauf, neue Ideen zu entwickeln und Fotografien zu realisieren, an die bisher noch niemand gedacht hat.
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Bis zum 5. Mai 2024 ist in der Fotografiska in Berlin Miles Aldridges Ausstellung „Virgin Mary. Supermarkets. Popcorn“ zu sehen. Hier geben wir einen Vorgeschmack.
Foto: Peter Lindbergh