Die Bühnen dieser Welt sind ihre Spielplätze, doch die wirkliche Magie entfaltet sich hinter den Kulissen. Warum Mezzosopran-Sängerin Anna Nero glaubt, dass ihr Lampenfieber ein guter Begleiter ist, wie sie ihre beeindruckenden Rollen meistert und was sie von Geschlechterklischees hält, verrät sie im Interview mit FACES.
FACES: Wann hast du gemerkt, dass Musik deine Leidenschaft ist? Gab es einen bestimmten Moment in deinem Leben?
Anna Nero: Das war für mich bereits früh klar. Meine Kindheit war geprägt von viel Musik und ich hatte das Glück, bei herausragenden LehrerInnen in der Musikschule Zug in den Unterricht zu gehen, die mich gefördert haben. Später hatte ich als Hauptfach Musik und gründete meine erste Band.
FACES: Du hast bereits während deines Studiums dein Operndebüt gegeben. Wie hat sich dieser frühe Einstieg auf deine Karriere ausgewirkt?
Anna Nero: Dies war wichtig für mich, da ich dadurch bereits früh einen Einblick in die Arbeit gewinnen konnte und mir bewusst wurde, wie viel Beziehungsarbeit, Ausdauer aber auch Glück in so einer Produktion steckt. Es handelte sich um eine Produktion der Beggar’s Opera von Britten
mit Studierenden der Hochschule Luzern für Musik und SängerInnen des Luzerner Theaters.
FACES: Du hast unterschiedliche Opernproduktionen gesungen, von „Hänsel und Gretel“ bis zu „Fledermaus“. Welche Rolle war für dich besonders herausfordernd, und warum? Welche davon hat dir am besten gefallen?
Anna Nero: Für mich war die Annina (Traviata) am Luzerner Theater toll, da sang ich aus dem Off zwischen dem Publikum vom Balkon aus. Das war akustisch schwierig zu koordinieren, aber auch eine aufregende Idee des Regisseurs Benedikt von Peter, die Violetta (Sopranistin Nicole
Chevalier) alleine auf der Bühne singen zu lassen. Sie war eine beeindruckende Bühnenkollegin und ich durfte viel von ihr lernen. Dafür bin ich ihr sehr dankbar! Den Orlofsky aus der Fledermaus verkörpere ich gern, den durfte ich am Murtenclassics unter der Leitung von
Christoph-Mathias Müller singen.
FACES: Du stehst sowohl auf Opern- als auch Konzertbühnen. Wie unterscheidet sich deine Vorbereitung auf diese beiden Formate?
Anna Nero: Bei Konzerten setze ich mich mit dem Text der Musik auseinander, bei der Oper kommt das Rollenstudium dazu. Ich bereite mich stimmlich vor, in dem ich die Werke minutiös übe und mir überlege, was für eine Person ich spielen werde, was für Charaktereigenschaften diese Person wohl hat, was sie mag oder was nicht und was für Attribute ich ihr von mir mitgeben kann. Ich informiere mich über die Handlung, lese über den Komponisten, SolistInnen und DirigentInnen, um möglichst souverän vorbereitet zu sein.
„Ich bin stolz darauf, den Menschen mit meiner Stimme Freude zu bereiten.“
FACES: Du hast mehrfach die Nationalhymne vor wichtigen Spielen gesungen. Wie fühlt es sich an, vor einem so großen Sportpublikum aufzutreten? Gibt es einen Moment, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Anna Nero: Ich bin dem EVZ unheimlich dankbar für die fantastische Idee, dass ich die Hymne vor den Play-Off Spielen live singen sollte. Der Moment ist magisch vor so vielen Leuten auf dem Eis zu singen. Anscheinend hat es auch positive Auswirkungen auf die Spiele gehabt – Zug hat
oft gewonnen. Die Hymne in der PostFinance Arena in Bern vor 17.000 Menschen zu singen, war eine Herausforderung und das auch noch mit Liveübertragung in die USA. Aber ich habe es geschafft und bin stolz darauf, den Menschen mit meiner Stimme Freude zu bereiten.
FACES: Du hast auch mit dem Zürcher Rapper Luuk an einem Song gearbeitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit, und wie hat es sich für dich angefühlt, in einem ganz anderen musikalischen Kontext aufzutreten?
Anna Nero: Es war eine Ehre für mich, mit Luuk zu arbeiten. Ich fand es sehr spannend, seine Fans kurz in die Opernwelt zu entführen – die Mischung aus klassischer Musik und Hip-Hop passt für mich gut zusammen. Luuk und ich haben großen Respekt füreinander und während der Produktion viele tiefgehende Gespräche über das Leben als Kulturschaffende geführt. Wir haben unseren Song „Tohuwabohu“ in der Roten Fabrik in Zürich performt und es war ein tolles Gefühl, gemeinsam mit den Jungs auf der Bühne zu stehen. Mein Freund war ebenfalls dabei, und zu dieser Zeit war ich schwanger mit meiner Tochter.
FACES: Wie bereitest du dich auf eine neue Rolle vor, insbesondere auf komplexe oder dramatische Charaktere?
Anna Nero: Ich informiere mich über das Werk, die Handlung und den Komponisten und überlege mir, wie ich die Rolle verkörpern könnte. Manchmal überlege ich mir auch, wer mir aus meinem Leben bei dieser Rolle in den Sinn kommt. Ich übe zuhause am Klavier, dann mit KorrepetitorInnen und meinem Gesangscoach und tausche mich mit anderen SängerInnen aus. Ich bin nach wie vor analog mit Partitur unterwegs und nehme die Noten überall hin mit – ich finde das chic.
„Es ist normal, aufgeregt zu sein“
FACES: Hast du immer noch Lampenfieber vor Auftritten? Wenn ja, wie gehst du damit um? Hast du Tipps, die du mit anderen KünstlerInnen teilen könntest?
Anna Nero: Ja, ich habe immer noch Lampenfieber vor Auftritten. Aber das gehört dazu und ich sage mir, nur weil ich jetzt gestresst bin, bedeutet das nicht, dass mein Auftritt schlecht wird. Es ist normal, aufgeregt zu sein.
FACES: Opernrollen können physisch und stimmlich sehr fordernd sein. Wie hältst du deine Stimme und deinen Körper fit, um immer auf Höchstleistung zu singen?
Anna Nero: Ich denke, mein Alltag ist eher ruhig gestaltet – ich mache viel Sport, esse gesund und übe viel, um in Schwung zu bleiben.
„Kunst bleibt meiner Meinung nach ein zeitloser Wert.“
FACES: Wie siehst du die Zukunft der Oper? Glaubst du, dass sie auch in modernen Zeiten Bestand haben wird? Wie könnte man junge Menschen dafür begeistern?
Anna Nero: Ich glaube, dass junge Menschen durchaus begeistert sind. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie man die Oper zu den Menschen bringt. Kunst bleibt meiner Meinung nach ein zeitloser Wert, aber es gibt Nachholbedarf in Bereichen wie Arbeitsbedingungen, Finanzierung und Gleichstellung. Es braucht Fairness, Anlaufstellen für Probleme und solide Grundlagen, damit Wertvolles zu fairen Bedingungen entstehen kann.
FACES: Die Kunstszene gilt oft als männerdominiert. Wie prägt das deine eigene Karriere?
Anna Nero: Die Tatsache, dass es viele männliche Führungskräfte gibt, beeinflusst mich insofern, dass sie oft diejenigen sind, die in Entscheidungspositionen sitzen und darüber entscheiden, wer welche Chancen erhält. Da sie die Auswahl treffen, wer singen soll oder welche KünstlerInnen gefördert werden, kann das die Vielfalt und die Chancen für Frauen einschränken.
FACES: Gibt es bestimmte Geschlechterstereotypen, die du in den Opernrollen bemerkt hast? Wie gehst du mit diesen Klischees um?
Anna Nero: Ich versuche die Rollen zu verstehen und sie im Kontext ihrer Zeit anzuschauen. Manchmal habe ich Mühe mit den Stereotypen und stelle mir dann die Frage, warum ich mich so fühle und ob sich die Stereotypen auch in meinem Leben wiederfinden.
„Leider gibt es für Frauen und Männer immer noch unterschiedliche Altersbegrenzungen bei Gesangswettbewerben oder Vorsingen.“
FACES: Hast du in deiner Karriere Momente erlebt, in denen du aufgrund deines Geschlechts diskriminiert wurdest? Wie haben diese Erfahrungen dich beeinflusst, und wie bist du damit umgegangen?
Anna Nero: Ein Beispiel: Leider gibt es für Frauen und Männer immer noch unterschiedliche Altersbegrenzungen bei Gesangswettbewerben oder Vorsingen. Das tut schon weh, weil es einfach nicht fair ist. Hoffentlich ändern sich die Spielregeln bald.
FACES: Beobachtest du Veränderungen für Frauen in der Kunstwelt, oder bleibt der Wandel oberflächlich?
Anna Nero: Ich habe den Eindruck, dass das Thema Arbeit in der Kultur und Eltern oder Mutter sein mehr besprochen wird. Vielleicht nehme ich es aber auch mehr wahr, weil ich nun selbst in dieser Situation bin.
FACES: Was müsste sich ändern, damit Frauen und Männer in der Kunstwelt wirklich gleichberechtigt sind?
Anna Nero: Ein zentraler Punkt ist die gleichmäßige Aufteilung der Care-Arbeit. Oft sind Frauen noch immer in der Hauptverantwortung für die Betreuung von Kindern und Haushaltsaufgaben, was ihnen weniger Zeit und Raum für die Entwicklung ihrer künstlerischen Karriere lässt. Eine gerechtere Aufteilung dieser Aufgaben zwischen den Geschlechtern wäre ein wichtiger Schritt, um gleiche Voraussetzungen zu schaffen.
Darüber hinaus sollte in der Kunstwelt ein größeres Verständnis für individuelle Lebenssituationen entwickelt werden. Frauen, die beispielsweise in Teilzeit arbeiten oder aufgrund von familiären Verpflichtungen bestimmte Zeiträume pausieren müssen, sollten nicht benachteiligt werden. Kunstinstitutionen sollten diese Aspekte berücksichtigen.
„Ich bin ein Kind der 90er Jahre – Shout-out to Gwen, Mariah & Co.“
FACES: Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus, wenn du nicht auf der Bühne stehst? Hast du Rituale oder Hobbys?
Anna Nero: Da bin ich zuhause und erledige administrative Sachen wie das Überarbeiten meiner Homepage, Mails usw. Rituale habe ich eigentlich keine, außer, dass ich mit meinem Hund Mireille mindestens dreimal pro Tag rausgehe – zu mehr oder weniger den gleichen Zeiten.
FACES: Wie entspannst du dich nach einem anstrengenden Konzert oder einer Opernaufführung?
Anna Nero: Wenn möglich, schlafe ich aus und koche etwas Feines. Falls es einen Wochenmarkt oder Flohmarkt gibt, mache ich eine ausgiebige Tour und verbringe den Tag mit meiner Tochter oder treffe mich auf einen Kafi mit einer Freundin.
FACES: Welche KünstlerInnen haben dich in deiner Karriere am meisten inspiriert, und wieso?
Anna Nero: Zu meinen Highlights der klassischen Musik gehören sicher die Sängerinnen Sonya Yoncheva und die Pianistin Khatia Buniatishvili. Ich bin inspiriert von Künstlerinnen, die ihren eigenen Weg und auf die Suche nach ihrem eigenen Klang gehen und ich bin ein Kind der 90er Jahre – Shout-out to Gwen, Mariah & Co.
FACES: Du trittst an vielen verschiedenen Orten auf. Gibt es eine Stadt, die dir besonders ans Herz gewachsen ist?
Anna Nero: Ich würde gerne wieder mehr in meiner Heimatstadt Zug singen. Das Gefühl des Heimkommens ist doch sehr schön.
„Ich spiele ab und zu mit dem Gedanken, einen eigenen Antiquitätenladen zu eröffnen“
FACES: Hörst du privat nur klassische Musik oder gibt es andere Genres, die du gerne hörst? Vielleicht auch etwas, das deine Fans überraschen würde?
Anna Nero: Ich höre sicher viel klassische Musik zuhause, aber meine Sammlung ist wirklich chaotisch, ich wähle da je nach Stimmung. Unterwegs höre ich oft auch andere Genres, ich freue mich immer, wenn mir jemand einen Track schickt – it’s a love language.Und ich bin ein Fan von Aya Nakamura, ich finde sie toll!
FACES: Gibt es eine Opernrolle, die du unbedingt noch singen möchtest? Warum gerade diese?
Anna Nero: Hoffentlich darf ich noch ganz viele Rollen singen. Ein Traum wäre für mich die Rolle der Cenerentola (Rossini) zu singen. Die Musik gefällt mir und die Rolle passt stimmlich gut zu mir mit den Koloraturen und Verzierungen, das mache ich gerne. Zurzeit übe ich für mich Adalgisa (Norma) – Man weiß ja nie.
FACES: Gibt es eine Opernrolle, die du bewusst meidest oder der du bisher aus dem Weg gegangen bist? Falls ja, wieso?
Anna Nero: Nein, gar nicht. Ich bin da offen und freue mich über Rollenangebote.
FACES: Gibt es etwas, das die Leute nicht über dich wissen, dass du gerne teilen würdest? Eine geheime Leidenschaft oder ein verborgenes Talent?
Anna Nero: Mein großes Faible für Antiquitäten. Ich spiele ab und zu mit dem Gedanken, einen eigenen Antiquitätenladen zu eröffnen – mit Klavier natürlich, um Konzerte zu veranstalten und zu üben…
FACES: Was möchtest du der nächsten Generation junger Sängerinnen und Sänger mit auf den Weg geben?
Anna Nero: In bocca al lupo!
Neugierig auf die Geschichten dieser außergewöhnlichen Opernsängerin? Entdecke mehr über sie auf ihrer offiziellen Website.Wie Anna Nero sagte: „Ich bin ein Kind der 90er Jahre.“ Was das bedeutet, erfährst du in unserem Artikel über Mode, Musik und Filme der 90er Jahre.