Angesiedelt zwischen Digitalem und Analogem lässt sich die Kunst von Ju Schnee nicht in eine Schublade pressen. Ebenso wie die Kreative sich selbst, die überzeugt ist: „Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern ganz viel dazwischen.“ Das zeigen nicht zuletzt ihre Werke, voller abstrakter Formen und starker Farben. In Verbindung mit Augmented Reality erhalten die Ölgemälde eine zusätzliche Dimension. Mehrdimensional, das ist auch Ju selbst: Social Media und Designkooperationen sind dabei nur ein kleiner Teil vom großen Ganzen. Über allem steht immer die Kunst, aktuell zu sehen im Rahmen einer Solo-Ausstellung in Wien. Das zentrale Thema: Fallen – und sich fallen lassen. Letzteres tat Ju auch im Interview und zeigte sich ganz persönlich.
FACES: Ju, wer bist du?
Ju Schnee: Eine Macherin. Beruflich, aber auch privat. Wenn ich eine Leidenschaft für etwas habe, dann gehe ich all in – das gilt für Beziehungen und Freundschaften ebenso wie für meine Kunst.
F: Gibt es einen konkreten Moment, in dem du wusstest, dass du Künstlerin werden beziehungsweise sein möchtest?
JS: Auf die Frage gibt es für mich zwei Antworten. Einerseits habe ich bereits ab dem Kleinkindalter gewusst, dass ich später einen kreativen Beruf ausüben möchte. Ich habe gemalt und gezeichnet, sobald ich einen Stift halten konnte. Die Kunst war für mich schon immer mein zentrales Ausdrucksmittel – aber lange kein realistisches Berufsfeld. Künstlerin werden zu wollen war für mich als Kind ähnlich exotisch wie der Berufswunsch Astronautin. Im Zeitverlauf habe ich immer mehr ausprobiert, mit den unterschiedlichsten Techniken und Materialien experimentiert, erste Auftragsarbeiten für meine Familie und Bekannte angefertigt und mich dazu entschlossen, Design zu studieren. Das war gefühlt der „sicherere Weg“ und gab mir trotzdem die Möglichkeit, meine Kreativität auszuleben. Die zweite Antwort auf die Frage: 2019 habe ich für mich begriffen,
dass ich doch hauptberuflich als Künstlerin arbeiten möchte. Ich bin nach meinem Kommunikationsdesign-Studium nach Berlin gegangen und habe dort als freischaffende Illustratorin gearbeitet, die Kunst hat mich privat aber nie losgelassen. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich ganz klar
für mich gespürt habe, dass diese Leidenschaft so viel stärker ist als jene für meinen damaligen Beruf. Und so habe ich den Entschluss gefasst, mein gesamtes Illustrations- und Grafikportfolio zu löschen und nochmal neu zu starten. Am 1. Januar 2020 habe ich den Mietvertrag für
mein Studio unterzeichnet.
F: Wie viel Mut hat dich dieser Neustart gekostet?
JS: Das war für mich tatsächlich gar kein so mutiger Entschluss. Ich hatte einfach ein sehr klares Ziel vor Augen. Dabei liebe ich Ziele, die sich fast ein bisschen zu groß anfühlen.
„Wenn ich ein neues Werk beginne, habe ich meist schon eine sehr konkrete Vorstellungdavon, wie es am Ende aussehen soll.“
F: Welche Bedeutung hat Social Media in deinem täglichen Arbeiten für dich?
JS: Instagram ist einerseits eine Plattform, die mir einfach Spaß macht, die mir andererseits aber auch die Möglichkeit gibt, sehr kuratiert
zu zeigen, wer ich bin, was mich begeistert, was mir Spaß macht. Dabei handelt es sich aber etwas, das für mich sehr natürlich kommen muss. Aktuell macht es mir Spaß, Instagram zu bespielen – ich würde es aber niemals tun, wenn es sich wie Druck oder Zwang anfühlen würde. Für viele
ist dieser Kanal der erste Berührungspunkt mit mir und meiner Kunst und ich finde es wunderschön, dort so viele Menschen erreichen zu können.
Die Auseinandersetzung mit einem Werk ist online aber sicher eine deutlich oberflächlichere als offline. Bei Ausstellungen, face-to-face, lässt sich da noch eine ganz andere Tiefe vermitteln.
F: Gibt es ein Wunschgefühl, das deine Kunst bei ihren BetrachterInnen auslösen soll?
JS: Ich freue mich, wenn meine Kunst ganz generell Menschen etwas spüren lässt – das kann in viele Richtungen gehen. Wenn ich mir aber etwas wünschen darf, dann ist das eine gewisse Offenheit meinen Werken gegenüber. Ich arbeite an der Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Kunst – oder besser, in der Schnittmenge beider Disziplinen. Für mich spiegelt das unsere Welt auch am besten wider. Es geht nicht mehr um ein Entweder-oder, sondern um die Kombination aus on- und offline. Den Fokus meiner Arbeit bilden meine Ölmalereien, die ich mit Augmented Reality verknüpfe. Via App am Smartphone oder Tablet können die BetrachterInnen meine Kunst so nochmal auf einer ganz anderen Dimension erleben. Wenn Menschen dafür offen sind, sich auf dieses Erlebnis einzulassen, dann ist das für mich das schönste Geschenk.
F: Wie weißt du, dass ein Werk fertig ist?
JS: Wenn ich ein neues Werk beginne, habe ich meist schon eine sehr konkrete Vorstellungdavon, wie es am Ende aussehen soll. Teilweise liegt
für mich die Schwierigkeit eher darin, auf der Leinwand noch ganz neue Dinge entstehen zu lassen. Das liegt vielleicht auch an meinem früheren beruflichen Background im Kommunikationsdesign. Im Rahmen der Aufträge von KundInnen ging es immer stark um Klarheit – und um einen Nutzen.
Im Vergleich dazu ist die Kunst so viel freier. Ein Werk muss keinen Nutzen haben, es geht viel mehr um das Spüren im Prozess, um Intuition.
Je stärker es mir gelingt, dieser Intuition Raum zu geben, desto besser ist das Endergebnis.
„Ich habe sehr klare Ziele und eine sehr konkrete Vorstellung davon, wo ich mit meiner Kunst hin möchte.“
F: Apropos Nutzen: Du hast Anfang Dezember deinen neusten Vasen-Drop in Kooperation mit Motel a Miio lanciert. Wie kam es zur Zusammenarbeit?
Und was bedeutet das Projekt für dich?
JS: Ich habe im Jahr 2020 überlegt, wie ich mein Studio einrichten könnte, und habe dann in puncto Geschirr sehr schnell an Motel a Miio gedacht. Also habe ich der Brand – ehrlicherweise etwas blauäugig – geschrieben und gefragt, ob sie Lust hätten, mir etwas zu schicken. Im Gegenzug
habe ich angeboten, in der Zukunft etwas für sie zu malen. Schon Ende des Jahres habe ich mein Versprechen eingelöst und durfte den Motel a
Miio-Store in Nürnberg bemalen. Im persönlichen Gespräch ist dann recht schnell die Idee zu einer Keramik-Kooperation entstanden. Ich habe
ein paar Wochen später die ersten Entwürfe geschickt – darunter war bereits eine Skizze jener Vasen, die wir mittlerweile bereits mehrfach neu aufgelegt haben. Für mich war und ist diese Zusammenarbeit die Möglichkeit, etwas zu erschaffen, das zwischen Kunst und Gebrauchsgegenstand angesiedelt ist – und damit viel zugänglicher ist, als beispielsweise eine Skulptur oder ein Gemälde. Mittlerweile lancieren wir seit 2021 immer neue gemeinsame Editionen.
F: Wie entscheidest du dich für beziehungsweise gegen die Zusammenarbeit mit einer Marke?
JS: Ich habe sehr klare Ziele und eine sehr konkrete Vorstellung davon, wo ich mit meiner Kunst hin möchte. Mir hilft es enorm, bei jeder Anfrage zu reflektieren, ob mich die Kooperation auf diesem Weg unterstützt, oder ob sie ihn vielleicht sogar erschwert. Eine zweite Frage, die ich mir stelle, ist, ob ich an dem Projekt wirklich als Künstlerin teilhaben kann, oder ob ich reine Dienstleisterin bin. Und drittens frage ich mich, ob mir das Projekt die Möglichkeit gibt, Dinge zu tun, die ich bis dato noch nie getan habe. Für mich muss die Antwort auf alle drei Fragen stimmen, damit sich eine Zusammenarbeit richtig anfühlt.
F: Drei schnelle Fragen zum Schluss: Was bedeutet Luxus für dich?
JS: Etwas, das man sich außerhalb des täglichen Lebens erlaubt zu konsumieren und das einem wirklich Freude bereitet. Das kann ein tolles Essen sein, ein teures Produkt, aber auch Mode und Kunst.
F: Was ist der beste Rat, den du jemals bekommen hast?
JS: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“ Das hat meine Mama immer zu mir gesagt und ich glaube, das Bewusstsein dafür wird immer wichtiger – gerade in Zeiten, in denen wir auf Social Media und Co. ständig mit unrealistischen Idealbildern konfrontiert sind.
F: Welchen Wunsch hast du an der Kunstbranche?
JS: Dass wir alle ein bisschen liebevoller miteinander sind und dass Diskurs viel häufiger auf Augenhöhe passiert, anstatt von oben herab.
Das gilt für Kreative untereinander – wobei ich in der Community in Wien schon einen sehr starken Zusammenhalt spüre – aber auch zwischen Galerien und KünstlerInnen. Ich bin überzeugt, dass wir zusammen so viel mehr schaffen können – und dafür braucht es ein Umfeld, in dem sich alle, unabhängig von Bekanntheitsgrad, Ausbildung, etc., gesehen und gehört fühlen.
Mehr Kunst gefällig? Im FOAM in Amsterdam gibt es eine Ausstellung, die du nicht verpassen solltest.
Lust auf mehr Farben und Formen? Hier siehst du, was bei Ju gerade so ansteht.
Fotos: © Stephanie Braun, © Ju Schnee