Mitten in seinem hektischen, von Kreativität getriebenen Alltag fand Austin Augie die Zeit, sich unseren Fragen zu stellen. Er verriet uns, warum er sich nie als „Vlogger“ sah, obwohl er sein Leben auf YouTube teilt, welche seine liebste Kunstform ist und warum er der Modeindustrie den Rücken gekehrt hat.
FACES: In deinen Anfängen kannte man dich als YouTuber und BMX-Profi. Dann folgte ein Exkurs in die Modewelt und jetzt arbeitest du als Fotograf und Filmemacher. Wie würdest du dich jemandem vorstellen, der noch nichts über dich weiß?
Austin Augie: Als ich hauptberuflich auf YouTube unterwegs war, habe ich mich lustigerweise nie als YouTuber gesehen, sondern eher als BMX-Profi. Der Kontrast zwischen diesen beiden Identitäten hat mich immer amüsiert. Obwohl ich so viel Zeit auf YouTube verbracht habe, lag mein eigentlicher Ehrgeiz immer im Filmemachen und darin, die Kunst der Dokumentation zu erlernen. Meine Zeit als Model erscheint mir wie ein weit zurückliegendes Kapitel in meinem Leben. Es war in erster Linie ein Weg, um über die Runden zu kommen. Leidenschaft war nicht wirklich Teil davon. Aber die Erfahrung war wertvoll und hat mich einiges gelehrt. Wenn mich jetzt jemand fragt, würde ich mich als Augie vorstellen, ein Chronist, der das Leben in Form von Filmen und Fotografien festhält. Ich konzentriere mich darauf, die unzähligen Geschichten einzufangen, die sich durch alle Bereiche des Lebens ziehen.
F: Wie verlief der Übergang vom BMX-ing, YouTube, zum Modeln und zur Fotografie? Gab es da Überschneidungen?
AA: Ich würde sagen, dass sie alle miteinander verwoben sind. BMX zum Beispiel war schon immer ein Teil von mir und wird es auch weiterhin sein. Das Reisen mit dem alleinigen Ziel, mit dem BMX herumzufahren und die Welt zu erkunden, war eine außergewöhnliche Erfahrung. Es hat mir die Augen für andere Perspektiven geöffnet und mir eine Unverwüstlichkeit eingeflößt, die bis heute anhält. Was das Vlogging angeht, so gefällt mir der Begriff zwar nicht, aber meine Zeit bei YouTube hat mich hinter der Linse gehalten, wo ich mir Komposition und Geschichtenerzählen beigebracht habe.
F: Und welche Art von Arbeit machst du am liebsten? Wie verbringst du heutzutage die meiste Zeit?
AA: Mein Tagesablauf variiert je nachdem, wo ich bin und was ich tue. In New York verbringe ich meine Tage im Studio – ich fotografiere, male und arbeite an neuen Ideen. Freie Zeit verbringe ich am liebsten mit Kanufahren und Tischtennis. Und wenn ich auf Reisen bin, liegt mein Hauptaugenmerk auf der Dokumentation der Erlebnisse.
F: Du gibst auf YouTube viel über dein Privatleben preis. Hast du es jemals bereut, so offen zu sein, oder fühlt es sich kathartisch an?
AA: Das ist eine gute Frage. YouTube war für mich einerseits ein Fels in der Brandung, andererseits auf eine Weise trotzdem schwierig, die viele Leute vielleicht nicht ganz verstehen. Ich teile mein Leben, weil ich glaube, dass die Authentizität des Lebens es verdient, geteilt zu werden, und dass sogar das Alltägliche schön sein und zum Nachdenken anregen kann. Mein Leben auf YouTube preiszugeben, brachte jedoch zu Beginn meiner Karriere eine Reihe von Herausforderungen mit sich.
F: Wer oder was hat dich dazu inspiriert, dein Leben auf Video festzuhalten – zu „vloggen“?
AA: Das Wort „Vlog“ mochte ich wirklich noch nie – „Videolog“ oder „Videotagebuch“ klingen für mich ein bisschen besser. Ich habe damals Casey Neistats YouTube-Kanal entdeckt und seine Art und Weise, wie er Geschichten aus dem alltäglichen Leben aufzeichnete, hat mich inspiriert. Zur selben Zeit zog ich gerade von Kalifornien nach New York, um eine BMX- und Modelkarriere zu starten. Ich dachte, meine Reise zu dokumentieren wäre eine gute Möglichkeit, mich hinter der Linse zurechtzufinden. Ich ahnte jedoch nicht, wie anstrengend das Ganze sein würde, sowohl geistig als auch körperlich.
F: Schaust du dir viel an auf YouTube? Wie hat sich die Plattform in den letzten Jahren verändert?
AA: Außer Live-Performances schaue ich mir nicht mehr allzu viel an. Allerdings lade ich recht häufig Videos hoch. In letzter Zeit habe ich mich darauf konzentriert, mehr künstlerische Videotagebücher zu erstellen. Es ist auf jeden Fall schwieriger geworden, Aufmerksamkeit zu erlangen.
„Mein persönlicher Stil ist stark von meinen Reisen und Erfahrungen auf der ganzen Welt beeinflusst.“
F: Kannst du uns mehr über deine Erfahrungen als Model erzählen? Was gefällt dir an der Modeindustrie und wie hast du dir einen Weg in die Branche gebahnt?
AA: Anfangs war es eine unglaubliche Erfahrung – und das Geld war großartig. Mit der Zeit wurde ich jedoch von der unterschwelligen Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, die die Szene zu durchdringen schienen, desillusioniert. Meine Leidenschaft für Kunst und Mode war schon immer sehr ausgeprägt, aber ich habe eine beunruhigende Veränderung in der Branche festgestellt. Was sich einst wie eine lebendige Feier der Kreativität anfühlte, stellt heute zunehmend den Profit über den echten künstlerischen Ausdruck. Mein Einstieg in diese Welt war ganz einfach: Ich ging zu einem Casting, bekam einen großen Job und nutzte dann die Gelegenheit, um mir einen anderen Agenten in New York zu sichern.
F: Mit welchen Modemarken hast du am liebsten zusammengearbeitet?
AA: Michael Kors hat mich am besten bezahlt und mich um die Welt gebracht, das war unglaublich. Ich schätze jedoch alle Erfahrungen, die ich gemacht habe, auch wenn viele davon in erster Linie von finanziellen Motiven angetrieben waren.
F: Wie würdest du deinen persönlichen Stil beschreiben? Spielt Mode eine große Rolle in deinem Alltag?
AA: Mein persönlicher Stil ist stark von meinen Reisen und Erfahrungen auf der ganzen Welt beeinflusst. Ich bevorzuge Schlichtheit und vermeide, wenn möglich, Logos. Mein Stil spielt eigentlich keine große Rolle in meinem Leben, aber es ist mir trotzdem wichtig, wie ich mich in der Öffentlichkeit präsentiere.
„Kürzlich habe ich in mein Tagebuch geschrieben, dass ich es langsamer angehen lassen muss.“
F: In einem deiner aktuellen Dokumentarfilmen hast du einige Wochen lang bei einer amischen Familie gelebt. Wie kam es dazu, und was waren die wichtigsten Erfahrungen, die du aus dieser Zeit mitgenommen hast?
AA: Die Familie kenne ich schon seit Jahren. Als ich 13 war, lebte ich bereits einmal für drei Monate bei ihnen. Für den Dokumentarfilm habe ich einen Monat bei ihnen verbracht. Ich musste im Oktober letzten Jahres den Verlust meines Stiefvaters verkraften. Er war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Dann ging die Beziehung zu meiner Freundin in die Brüche. Während dieser Zeit gerieten mein Alkohol- und Drogenkonsum außer Kontrolle, und ich wusste, dass ich einen Neustart brauchte. Ich nannte es „Amish Rehab“, aber es stellte sich heraus, dass es so viel mehr als das war. Zum ersten Mal begann ich, mich wirklich auf die Selbstliebe zu konzentrieren. Diese Reise hat mich dorthin gebracht, wo ich heute bin.
F: Würdest du etwas Ähnliches noch einmal machen? In welche anderen Kulturen würdest du gerne einmal eintauchen?
AA: Ich arbeite tatsächlich an einer Serie, in der ich für längere Zeit in verschiedene Kulturen eintauche. Mein Ziel ist es, eine tiefere Perspektive und ein besseres Verständnis für Kulturen zu erlangen, mit denen ich nicht vertraut bin. Indem ich diese Kulturen aus nächster Nähe erlebe und erforsche, hoffe ich, Einblicke und Geschichten zu entdecken, die über oberflächliche Beobachtungen hinausgehen. Derzeit interessieren mich Rumänien und Afrika.
F: Wo auf der Welt fühlst du dich am meisten zuhause?
AA: Am wohlsten fühle ich mich in meinem Studio mit meinem Hund, Tonka Truck. Im Sommer bemühte ich mich, für einmal an Ort und Stelle zu bleiben und nicht zu reisen, wie ich es normalerweise tue, damit ich mehr Zeit mit ihm verbringen und diese wirklich genießen kann.
F: Du bist auch ein begeisterter Straßenfotograf. Welches ist der beste Ort für Straßenfotografie?
AA: Es ist schon komisch – früher habe ich die Straßenfotografie geliebt, aber da ich mich als Künstler weiterentwickelt habe, ziehe ich es jetzt vor, die Straßen zu dokumentieren, anstatt aktiv nach Bildern zu suchen. Ich glaube, viele FotografInnen sind wie Geparden auf der Jagd nach der perfekten Aufnahme, während ich mehr Wert darauf lege, in die Szenen um mich herum einzutauchen und die Bilder natürlich entstehen zu lassen. Ich liebe es, in New York zu fotografieren, aber Indien ist wahrscheinlich das ultimative Foto-Mekka.
F: Du scheinst ununterbrochen unterwegs zu sein. Machst du auch mal Pause? Und was tust du, wenn du gerade nicht an etwas Kreativem arbeitest?
AA: Kürzlich habe ich in mein Tagebuch geschrieben, dass ich es langsamer angehen lassen muss. Als selbständiger Künstler ist es Fluch und Segen zugleich, dass mein Leben nahtlos in meine Arbeit übergeht und wenig Raum für Pausen lässt. Ehrlich gesagt, genieße ich das aber. Ich habe so viel Energie. Und wenn ich dieses kreative Ventil nicht hätte, würde ich mich wahrscheinlich verloren fühlen. In meinen Pausen schreibe ich normalerweise Musik, spiele Tischtennis oder verbringe den Abend in einer Bar.
F: Und wie schaffst du es, einmal ganz von der Welt abzuschalten?
AA: Ich liebe es, mit meinem Kanu hier in Red Hook, Brooklyn, aufs Wasser hinauszufahren. Ich lehne mich zurück, beobachte die vorbeifahrenden Boote und verspüre völligen Frieden.
„Soziale Medien können ein echter mind killer sein.“
F: Was hältst du von den sozialen Medien?
AA: Die können ein echter mind killer sein. Ich wünsche mir oft, dass ich gar nicht daran teilhaben müsste, aber leider ist es ein entscheidender Teil meiner Arbeit. Wie bei allem ist die Balance der Schlüssel. Viele Menschen haben Probleme damit, mit sich selbst allein zu sein, was den Umgang mit den sozialen Medien noch schwieriger macht.
F: Ist es manchmal anstrengend, immer neuen Content zu kreieren?
AA: Ich sehe das, was ich tue, nicht wirklich als Content an; ich ziehe es vor, es als das Produzieren von Werken zu betrachten. Einige Arbeiten sind stärker als andere, aber der Begriff Content passt nicht zu mir. Normalerweise jongliere ich mehrere Projekte gleichzeitig, und wenn eines zu anstrengend wird, schalte ich einen Gang zurück und komme später darauf zurück.
F: In welchem Jahrzehnt würdest du gerne leben?
AA: Ich fühle mich zu den Vierziger- und Fünfzigerjahren hingezogen – die Autos, der Stil, die Bildsprache. Möglicherweise spielt aber auch Nostalgie eine große Rolle, denn ich liebe es, wo ich jetzt lebe und wie praktisch alles ist.
F: Was bereitet dir am meisten Sorgen?
AA: Meine größte Sorge ist Stagnation – an einem Ort zu bleiben, ohne als Person zu wachsen oder aus meinen Fehlern zu lernen. Ich habe Angst, mein Potenzial nicht auszuschöpfen und nicht genug Geld zu verdienen, um die Menschen zu unterstützen, die mir wichtig sind.
F: Wie weit in die Zukunft planst du?
AA: Ich konzentriere mich eher darauf, in der Gegenwart zu leben, als mir zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen. Abgesehen von größeren Projekten fühlt sich die Zukunft wie eine Unbekannte an, und ich ziehe es vor, im Hier und Jetzt zu bleiben.
F: Kannst du uns etwas über dich verraten, das viele Leute noch nicht wissen?
AA: Ich bin mir nicht sicher, ob es vieles gibt, was die Leute nicht schon über mich wissen. Authentizität ist eine meiner größten Stärken. Das schätze ich auch bei anderen sehr.
Wie Austin Augie seinen Alltag festhält, zeigen wir dir hier.
Um mit dem hektischen Alltag von Austin Augie mitzuhalten, schaust du am besten ab und zu auf seinem Youtube-Kanal vorbei.
Fotos: © Austin Augie