Patrick Pierazzoli: Keine Angst
Helge Timmerberg war wieder mal unterwegs. Diesmal in Nepal, um Yogi Kashinat zu suchen, der ihm vor 15 Jahren im Annapurna-Massiv das Mantra gegen die Angst schenkte. Er muss herausfinden, ob er über das Mantra schreiben und es mit seinen Lesern teilen darf, oder ob es seine Wirkung verliert, wenn er das tut. Wie immer, wenn der Rockstar-Poet auf Reisen geht, wird’s lustig. Zumindest für den Leser, denn das Alter geht auch an Timmerberg nicht spurlos vorbei, und die Reiserei macht ihm offensichtlich mehr zu schaffen als auch schon. Natürlich möchte man ihm immer noch auf der Stelle nachreisen – keiner packt mehr Schönheit in Worte – aber in den ewig jungen Enthusiasmus mischt sich immer öfter auch mal eine Prise Zynismus, was wunderbar zu lesen ist. Ich will hier nicht verraten, ob er den Yogi findet, aber ich kann verraten, dass er das Mantra verraten darf, und dass er es auch tut. „Das Mantra gegen die Angst oder Ready for everything“ (Malik) erscheint Mitte Oktober und ist das beste Buch, das Sie im Moment lesen oder verschenken können.
Marina Warth: Schiesspulver
An Hokuspokus glaube ich nicht. Sternzeichen, Chakras, Voodoo, Esoterik… Quacksalberei! Dass ich bei meiner Reise durch Irland dann doch in die Höhle einer Tarot Tante gestolpert bin, schiebe ich auf die keltische Musik, deren Gedudel mein Hirn mindestens so tot-getrampelt hat wie die Raver die Zürcher Strassen an der Street Parade. Ob ich denn eine Frage hätte, wollte die Dame mit den kajalverschmierten Augen wissen, bevor sie mir eröffnete, dass Feuer in meiner Zukunft eine grosse Rolle spielen werde. 15 Minuten und 35 Euro später trat ich von der räucherstäbchengeschwängerten an die frische Luft – und lachte so herzlich über diese Erfahrung, dass vorbeieilende Iren miteinstimmten. Tarot, check, ein Punkt weniger auf meiner Bucket List. Ein weiterer stellte der Besuch eines irischen Pubs dar, der am Abend folgte. Bevor ich das Kreuz auf meiner Liste allerdings setzen konnte, schweifte mein Blick über die Auslage der Bar und blieb an einer blauen Flasche Gin (Drumshanbo, „Gunpowder Irish Gin“, 700 ml, ca. 50.–) hängen. „It’s gonna set your palate on fire“, lachte der Barkeeper und besiegelte damit die Prophezeiung, die seitdem an meinen Gedanken haftet wie der Geschmack des Hochprozenters an meinem Gaumen.
Marco Rüegg: Auf die 10
Füsse aus Gold, die Hand Gottes, den Knallkopf voller infantiler Schnapsideen. So geht Diego Maradona 1984 nach Neapel, wird Meister, Weltmeister – aber nicht glücklich. Die impulsgesteuerte Überfigur stürzt vom Sockel, fällt abgrundtief wie zuletzt die Währung seines Mutterlands. Jedoch, erst recht in Zeiten maroder Wirtschaft trauert Argentinien seiner zerronnenen (fussballerischen) Glorie hinterher. Diese symbolisiert der volksheilige Paradiesvogel wie kein anderer – pardon, Señor Messi. Prima Timing also, dass Dokfilmer Asif Kapadia jetzt den Mythos „Diego Maradona“ (DCM) auf der Leinwand abhandelt, sportliche Sternstunden genauso ausleuchtet wie seelische Traumata im bisherigen Leben eines schizophrenen Genies aus dem Hafenviertel La Boca.