Bei Lydia Roberts scheint die Kreativitätsquelle niemals zu versiegen. Warum dieser Eindruck gar nicht stimmt, sie aber trotzdem jeden Tag etwas erschafft, weshalb sie sich kaum mit anderen KünstlerInnen auseinandersetzt und ob sie sich mit KI auskennt, verrät sie im Interview.
FACES: Du malst, zeichnest und fotografierst. Welche dieser Künste kam zuerst, und gibt es eine, die du bevorzugst?
Lydia Roberts: Ich habe mit 13 begonnen zu fotografieren, und mit 21 fing ich an, die Malerei ernsthaft zu verfolgen. Jede Kunstform hat ihren ganz eigenen Zweck, und ich durchlaufe immer wieder Phasen, in denen die eine mehr dominiert als die andere.
FACES: Bezeichnest du dich als Fotografin, Malerin oder einfach als visuelle Künstlerin?
Lydia Roberts: Ich versuche, mich möglichst nicht an Definitionen anzubinden – sie verändern sich sowieso immer wieder.
FACES: Viele deiner Selbstporträts zeigen nur Teile von dir. Machst du diese Porträts, um selbst zu bestimmen, wie du als Frau dargestellt wirst?
Lydia Roberts: Zunächst waren die Selbstporträts eine Möglichkeit, mit bestimmten Problemen aus meiner Jugendzeit umzugehen. Ich habe dann im Laufe der Jahre damit weitergemacht, aber es geht mir nicht unbedingt darum, wie ich als Frau dargestellt werde. Ich sehe die Porträts eher als eine Fortsetzung der Möglichkeit, meinen Körper und mein Gesicht zu nutzen, um etwas zu kommunizieren. Oder um auf das Licht oder die Umgebung zu reagieren.
FACES: Die Menschen in deinen Fotos sind oft leicht verzerrt oder unkenntlich gemacht. Was möchtest du mit diesen Porträts vermitteln?
Lydia Roberts: Verzerrungen und Spiegelungen bringen eine neue Art des Sehens mit sich, die mich manchmal mehr reizt als das Motiv direkt vor mir. Etwas Simples wie ein Loch in einem Zaun kann eine scheinbar banale Komposition völlig verändern.
FACES: In deiner Arbeit findet man neben Gesichtern auch viele Formen und Kontraste. Hast du jeweils eine genaue Vorstellung davon, was du darstellen willst, bevor du das Bild machst?
Lydia Roberts: Ich verlasse mich beim Malen und Fotografieren fast ausschließlich auf meine Intuition. In den wenigen Ausnahmen, in denen ich vorausplane, nimmt das Bild am Ende dann doch noch eine Kehrtwende.
„Ich glaube nicht, dass man sich auf KI als Ersatz für echte kreative Handlungen verlassen kann.“
FACES: Wenn du dich draußen der Straßenfotografie widmest, findest du es dann schwieriger, fremde Menschen zu fotografieren als Menschen, die du kennst?
Lydia Roberts: In gewisser Weise ist es einfacher – solange ich mir vorstelle, dass ich einen Unsichtbarkeitsmantel trage. Ich verfalle jeweils in eine Art Trance, in der ich mich entweder komplett von der Umgebung trenne oder völlig mit ihr verschmelze. Auch das Land, in dem ich mich gerade aufhalte, kann einen Einfluss darauf haben, wie einfach es ist, auf der Straße zu fotografieren. Touristin zu spielen hilft mir manchmal, komischen Blicken zu entfliehen.
FACES: Hattest du trotzdem schon einmal unangenehme Erfahrungen mit der Straßenfotografie?
Lydia Roberts: Die ganze Situation, Menschen zu fotografieren, ohne dass sie es merken, ist mir eigentlich unangenehm. Ich warte stets darauf, erwischt zu werden, aber es ist auch genau diese Angst, die als Antrieb für die Fotos fungiert.
FACES: Künstliche Intelligenz ist ein großes Thema, das sich vermehrt auch in die Kunst und Fotografie einschleicht. Was hältst du davon?
Lydia Roberts: Für mich ist das Thema noch relativ neu, weswegen ich mir noch nicht ganz eine eigene Meinung gebildet habe. Ich selbst verwende für meine Kunst keine KI, denn für mich ist es wichtig, dass die Arbeit direkt von mir kommt. Es wird natürlich noch viel passieren, aber ich glaube nicht, dass man sich auf KI als Ersatz für echte kreative Handlungen verlassen kann. Außerdem haben gerade die Arbeiten, die ich in den sozialen Medien veröffentlicht habe und die automatisch von KI zensiert wurden, die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen – das scheint ja den Zweck zu verfehlen.
„Die ganze Situation, Menschen zu fotografieren, ohne dass sie es merken, ist mir eigentlich unangenehm.“
FACES: Deine Kunst wirkt so handgeschaffen und scheint tief aus dem Innern zu kommen. Denkst du, KI ruiniert genau diesen Aspekt der Fotografie?
Lydia Roberts: Ich bin ein bisschen technikfeindlich, daher scheint mir die Idee, selbst KI zu benutzen, völlig absurd. Es gibt noch so viel, das ich mit dem, was mich umgibt, erforschen möchte. Wenn wir uns darauf besinnen, dass das, was wir benutzen, ein Werkzeug ist, dann könnten Kunst und KI vielleicht nebeneinander existieren. Ich habe jedoch das Gefühl, dass Geräte, die uns eigentlich nur unterstützen sollen, andere Prozesse plötzlich auch dominieren. Und so laufen wir Gefahr, die wahre Kreativität zu verlieren.
FACES: Die Retusche weist Ähnlichkeiten mit KI auf, an sie haben wir uns aber scheinbar längst gewöhnt. Wie stark bearbeitest oder retuschierst du deine Fotos?
Lydia Roberts: Ich benutze Photoshop, habe darin aber bewusst limitierte Kenntnisse. Vielleicht aus Faulheit. Oder aus Angst. Vielleicht auch wegen meiner Liebe zu Grenzen.
FACES: Eines deiner Markenzeichen sind unscharfe und überlagerte Bilder. Kreierst du diese Effekte von Hand oder mit digitalen Tools?
Lydia Roberts: Die Überlagerung erfolgt in Photoshop, aber ansonsten versuche ich, so viel wie möglich organisch zu erreichen, indem ich meine Tricks anwende: 50 Prozent durch etwas hindurch fotografieren, 50 Prozent Wackeln.
FACES: Wer oder was inspiriert dich dazu, Kunst zu schaffen?
Lydia Roberts: Es war eigentlich eine halbbewusste Entscheidung, die ich als Teenagerin getroffen habe – jeden Tag etwas zu erschaffen – und die ich in den letzten 16 Jahren beibehalten habe. Manchmal ist es auch einfach Besessenheit. Denn es ist auf keinen Fall so, dass ich jeden Tag von Inspiration heimgesucht werde.
„Es ist auf keinen Fall so, dass ich jeden Tag von Inspiration heimgesucht werde.“
FACES: Von welchen anderen KünstlerInnen lässt du dich inspirieren?
Lydia Roberts: Ich muss zugeben, dass ich mich nicht allzu sehr mit anderen KünstlerInnen beschäftige. Als ich jünger war, haben mich Man Ray und Francesca Woodman sehr beeindruckt. Und ich glaube, die Wirkung, die ihre Arbeiten auf mich hatten, ist bis heute da.
FACES: Erinnerst du dich an den Moment, als du zum ersten Mal eine Kamera benutzt hast?
Lydia Roberts: Als ich die ersten ernsthaften Fotos gemacht habe, war ich etwa 13 Jahre alt. Ich habe mich selbst und nach Farben sortierte Gegenstände auf meinem Schreibtisch fotografiert.
FACES: Ist dir die Kameraausrüstung wichtig?
Lydia Roberts: Mir ist überhaupt nicht wichtig, welche Kamera ich verwende. Tatsächlich sind es Kameras und die ganze Ausrüstung, die mir am meisten Angst machen. Da ich nur über begrenztes Wissen und eine begrenzte Auswahl an Geräten verfüge, kann ich meine ganze Energie direkt in die eigentliche Fotografie stecken.
FACES: Was ist die Kamera deiner Wahl?
Lydia Roberts: Etwas Kleines und Leichtes, das ich blitzschnell aus der Tasche ziehen kann.
FACES: Farbe oder Schwarz-Weiß?
Lydia Roberts: Es gibt für mich nichts Befriedigendes als ein Farbfoto, das funktioniert. In der Praxis denke ich sogar oft in Farbe, würde aber sagen, dass Schwarz-Weiß meine erste Sprache war.
FACES: Analog oder digital?
Lydia Roberts: Ich habe während dem Studium mit der analogen Technik experimentiert und war davon gleichermaßen fasziniert wie frustriert. Digital ist für mich viel praktischer und kostengünstiger.
FACES: Wo siehst du deine Zukunft als Künstlerin?
Lydia Roberts: Viel wird sich wohl nicht ändern – außer dass die Anzahl der Gemälde und Fotos, die ich mache, immer weiter wachsen wird.
FACES: Was bedeutet Kunst zu schaffen für dich? Ist es mehrheitlich befreiend oder bereitet es dir manchmal Mühe, eine Vision zu realisieren?
Lydia Roberts: Das hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert. Es begann als eine Art Bewältigungsmechanismus und ist inzwischen zu einer Erweiterung meines Wortschatzes geworden.
LYDIA ROBERTS
Ohne Pinsel oder Kamera in der Hand sieht man die Britin Lydia Roberts wohl selten, hat sie doch in ihrer Jugend den Entschluss gefasst, jeden Tag etwas zu kreieren. Die Disziplin zahlt sich aus, denn die Illustrationen der Dreißigjährigen sind in der New York Times abgedruckt worden und ihre Fotokunst ziert unter anderem ein Albumcover von Glass Animals.
Ein kreatives Wunderland: Auf Lydia Roberts Website findet man Fotos, Gemälde und Zeichnungen, mit denen man sich am liebsten die ganzen Wände tapezieren würde.
Fotos: © Lydia Roberts