Kunst hat viele Gesichter. Als Director of Exhibitions entscheidet Marina Paulenka, welche Werke in der Fotografiska Berlin ausgestellt werden – und definiert damit Kunst jeden Tag neu. Was es braucht, um in dieser Szene zu bestehen und weshalb KI nicht zwingend den Untergang der Kreativität bedeutet? Nun, einfach weiterlesen.
FACES: Du bist Director of Exhibitions bei der Fotografiska Berlin, einem Museum, das sich ganz der Kunst verschrieben hat. Wie muss man sich deinen Alltag vorstellen?
Marina Paulenka: Als Ausstellungsleiterin bin ich verantwortlich für die gesamte Ausstellungsstrategie sowie die künstlerische Leitung der Fotografiska. Ich habe das Vergnügen, die Ausstellungen lokaler und internationaler KünstlerInnen zu kuratieren und als Mitglied des Ausstellungskomitees mit meinen großartigen KollegInnen auf lokaler und internationaler Ebene zusammenzuarbeiten. Ich betrachte die Fotografiska als einen bedeutenden Ort für Fotografie und zeitgenössische Kultur, der KünstlerInnen eine Plattform bietet, sich auszudrücken. Wir zeigen die Werke etablierter genauso wie aufstrebender KünstlerInnen, und es ist uns besonders wichtig, Arbeiten aus ganz verschiedenen Karrierestadien zu zeigen – von StudentInnen bis hin zu anerkannten Profis.
FACES: Was ist die wichtigste Fähigkeit, die du für deine Arbeit brauchst?
Marina Paulenka: Die wichtigste Fähigkeit, die ich für meine Rolle bei der Fotografiska Berlin benötige, ist natürlich das Wissen über die Geschichte der Kunst und der zeitgenössischen Kunst sowie über zeitgenössische Fotografie. Da ich selbst auch Künstlerin bin, verstehe ich den Prozess auf beiden Seiten. Daneben ist es auch wichtig, die Kunst des aufmerksamen Zuhörens gegenüber KünstlerInnen zu beherrschen. In diesem dynamischen Umfeld liegt die Grundlage des Erfolgs in der Fähigkeit, wirklich zuzuhören und zu verstehen, was die KünstlerInnen ernsthaft zu vermitteln versuchen, und gleichzeitig auch die Erwartungen unseres Publikums zu verstehen.
Kreative Menschen in der Kunstbranche
FACES: Wie ist es, in der Kunstbranche zu arbeiten?
Marina Paulenka: Es inspiriert mich sehr, mit KünstlerInnen, Kulturschaffenden und Kreativen zu arbeiten – es ist nie langweilig, sondern sehr bereichernd. Kunst ist entscheidend für unsere Kultur sowie unser persönliches und gesellschaftliches Wachstum. Ich stehe auch in Kontakt mit ExpertInnen aus verschiedenen Bereichen, um Verbindungen zu knüpfen. Sich in der Kunstindustrie zu engagieren, ist eine unglaublich inspirierende Erfahrung. Die Zusammenarbeit mit Menschen, die in der Welt der Kunst zuhause sind, beflügelt nicht nur meine Kreativität, sondern bietet auch eine einzigartige Perspektive. Mein Engagement geht jedoch über den Kunstsektor hinaus; ich pflege aktiv Verbindungen zu verschiedenen Branchen. Dieser vielseitige Ansatz ermöglicht es mir, Brücken zwischen unterschiedlichen Bereichen zu errichten, die die Entdeckung neuer Ideen, innovativer Lösungen und noch nie dagewesener Wachstumschancen erleichtern.
FACES: Welche Klischees über die Kunstbranche sind wahr und welche sind falsch?
Marina Paulenka: Es ist wahr, dass die Menschen in der Kunstbranche unglaublich vielfältig und aufgeschlossen sind. Diese Vielfalt ist für mich eine Quelle der Inspiration, denn sie führt zu einer reichen Mischung von Perspektiven und kreativen Ansätzen. In der Kunstszene finden sich oft Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammen, was ein Umfeld schafft, in dem sich ganz viele verschiedene Stimmen und Ansichten entfalten können. Die Bereitschaft, unkonventionelle Ideen zu erforschen und den Status quo in Frage zu stellen, ist ein Markenzeichen derjenigen, die in der Kunstbranche tätig sind. Ein Vorurteil, das nicht stimmt, ist, dass die Menschen in dieser Branche Snobs sind. Natürlich gibt es, wie übrigens in jeder Branche, auch elitäre Personen, aber es wäre falsch, die gesamte Szene in einen Topf zu werfen.
Sei fair zu den Menschen
FACES: Was ist der beste Ratschlag, den du während deiner 15-jährigen Karriere in der Kunstszene erhalten hast, und was ist dein wertvollster Ratschlag, den du gerne weitergeben würdest?
Marina Paulenka: Sei nett und fair zu den Menschen. Wenn du eine Vision hast und hart daran arbeitest, zu deinen Entscheidungen stehst und Risiken eingehst, ist absolut nichts unmöglich.
FACES: Was gefällt dir an deiner Arbeit am besten, und was ist die größte Herausforderung?
Marina Paulenka: Was ich an meiner Arbeit am meisten schätze, ist die Unvorhersehbarkeit, die jeder Tag mit sich bringt. Die Vielfalt und Einzigartigkeit eines jeden Tages mit seinen besonderen Herausforderungen und Möglichkeiten ist das, was ich besonders mag. Andererseits kann genau diese Unvorhersehbarkeit auch die größte Herausforderung darstellen. Die Anpassung an die sich stetig wandelnde Umgebung ist zwar belebend, erfordert aber auch die ständige Bereitschaft, sich dem Unbekannten zu stellen und innovative Lösungen zu finden.
Gute Fotografie ist authentisch
FACES: Du arbeitest mit vielen KünstlerInnen zusammen. Was macht eine gute FotografIn aus?
Marina Paulenka: Gute FotografInnen sind authentisch, ehrlich und nutzen die Kraft der Kunst, um positive Veränderungen zu bewirken.
FACES: Woran erkennst du ein gelungenes Foto?
Marina Paulenka: Für mich geht es bei der Fotografie, wie bei jedem anderen Medium auch, nicht um Stil oder Ästhetik, sondern vielmehr um die Botschaft, die Idee, das Konzept, den Gedanken, die Geschichte und die Absicht dahinter. Aktualität und Relevanz sind mir wichtig, wenn ich Fotografien betrachte. Das bedeutet nicht, dass ich nicht von der brillanten Technik und Bildsprache einer FotografIn beeindruckt bin. Beide Aspekte sind wichtig.
So kommt auch dein Foto in die Fotografiska Berlin!
FACES: Nach welchen Kriterien wählst du die Werke aus, die in der Fotografiska Berlin ausgestellt werden?
Marina Paulenka: Unsere Kriterien entwickeln sich ständig weiter, um sicherzustellen, dass wir dynamisch und innovativ bleiben. Wir stehen im ständigen Austausch, um diese Kriterien neu zu definieren und sicherzustellen, dass sie mit unserem Engagement für Frische und Neuartigkeit in Einklang stehen.
FACES: Was muss eine KünstlerIn unternehmen, um ihre Werke bei euch ausstellen zu können?
Marina Paulenka: Entscheidend ist, dass man seine Arbeit als KünstlerIn nicht versteckt, sondern sie mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein präsentiert. Unser angeborenes Gespür für die Entdeckung bemerkenswerter Kreationen entfaltet sich mit der Zeit ganz natürlich, also sollte man seine künstlerische Stimme ohne Vorbehalt erklingen lassen.
Talent heißt, sein Umfeld zu inspirieren
FACES: Woran erkennst du Talent?
Marina Paulenka: Talent zeigt sich, wenn es jemandem gelingt, nicht nur mich selbst, sondern auch andere um sich herum zu inspirieren.
FACES: Welche Art von Kunst wird in der Fotografiska Berlin nie ausgestellt werden?
Marina Paulenka: In der Fotografiska Berlin verfolgen wir einen integrativen Ansatz, der eine breite Palette von Kunstformen umfasst, darunter Video, Performances und verschiedene kreative Ausdrucksformen. Unsere Mission ist es, Brücken zu bauen und nicht zu spalten. Daher sind wir verpflichtet, jegliche Kunst zu vermeiden, die unser Ziel untergräbt, die Verbindung und das Verständnis zwischen verschiedenen Zielgruppen zu fördern.
FACES: Welche Art von Kunst hängt bei dir zuhause an den Wänden?
Marina Paulenka: Ich besitze die Werke von befreundeten KünstlerInnen, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. Jedes einzelne Stück ist mit einer Erinnerung verbunden, das gefällt mir.
Das liebe Geld
FACES: Wie wird der monetäre Wert von Kunst bestimmt?
Marina Paulenka: Das ist eine Frage für den Kunstmarkt. Es gibt viele Kriterien, und ich denke, dass dies ein separates Thema ist. Bei Fotografiska kaufen oder verkaufen wir keine Kunst.
FACES: Kann man Kunst lernen, sowohl in ihrer Bewertung als auch in ihrer Schaffung?
Marina Paulenka: Auf jeden Fall. Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch einen latent kreativen und inspirierenden Aspekt in sich trägt. Durch Lernen und Erforschen sowohl in Bezug auf die Bewertung von Kunst als auch auf das aktive Schaffen von Kunst kann diese angeborene künstlerische Fähigkeit durchaus noch mehr gefördert und entwickelt werden.
Kunst und Kritik
FACES: Lässt sich Kunst überhaupt konstruktiv kritisieren?
Marina Paulenka: Selbstverständlich ist jegliche Kunst offen für konstruktive Kritik, da sie als Ausgangspunkt für bedeutungsvolle Gespräche dient. Diskussionen, die sich mit den Nuancen des künstlerischen Ausdrucks befassen, ermöglichen ein tieferes Verständnis und eine größere Wertschätzung des Werks und fördern einen reichhaltigen Austausch von Perspektiven.
FACES: Wie formulierst du deine Absagen an eine KünstlerIn, wenn ihr euch dazu entschlossen habt, deren Werke nicht bei euch zu zeigen?
Marina Paulenka: Ich denke, die Höflichkeit bei einer Ablehnung liegt in der Aufrichtigkeit der Worte, der professionellen Wertschätzung und dem Respekt vor der gesamten Interaktion mit der betreffenden Person. Im beruflichen Kontext können Absagen Wachstum auslösen, was ein äußerst wertvoller Gewinn ist, auch wenn eine Ablehnung für uns Menschen nie angenehm ist. Im Grunde geht es darum, sich in die andere Person hineinzuversetzen, deren Perspektive einzunehmen und entsprechend Einfühlungsvermögen zu zeigen.
Diese Museen muss man gesehen haben
FACES: Welches sind die Top drei Museen, die man unbedingt besuchen sollte, und welches kann man auslassen?
Marina Paulenka: Da beschränke ich mich der Einfachheit halber auf Berlin: Gerne schaue ich mir an, was in der C/O Berlin, im Gropius Bau, im Hamburger Bahnhof und in den vielen interessanten kleinen, unabhängigen Kunsträumen in Neukölln passiert. Im Currywurst-Museum würde man mich nicht finden, obwohl… vielleicht macht das ja Spaß!
FACES: Was sind die Schattenseiten der Digitalisierung und der sozialen Medien für Künstschaffende, und worin bestehen deren Chancen?
Marina Paulenka: Soziale Medien im Allgemeinen verdeutlichen mir eines ganz klar: Visualität ist einer der tiefgreifendsten Akteure unserer Zeit und ein Ort der wichtigsten Fragen. Bilder umgeben uns, wir nehmen die Welt durch sie wahr. Wir haben Erinnerungen, die auf Bildern basieren. Das alles führt unweigerlich dazu, dass die visuelle Kultur viel Kritik einstecken muss. Die Frage ist, wie man sie kontextualisieren und Wissen schaffen kann. Im Kunstbereich herrscht eine Atmosphäre des transdisziplinären Experimentierens über Bereiche und Sektoren hinweg vor. Was wir jedoch brauchen, ist eine neue kulturelle Kompetenz, die es KünstlerInnen ermöglicht, über mögliche Zukunftsszenarien zu berichten und zu spekulieren – wie bei jeder Technologie.
KI-generierte Kunst und die Zukunft der Fotografie
FACES: Ist KI-generierte Kunst genauso zu bewerten wie Kunst, die ohne deren Hilfe entsteht?
Marina Paulenka: Es handelt sich um einen neuen Bereich, der sich sehr schnell entwickelt und immer besser wird. Aber inspiriert uns KI auch? Vielleicht, ich bin offen dafür, denn dahinter stehen ja auch Menschen, die die Maschine oder die Software mit Informationen füttern müssen. Aber ich bin sicher, dass diese KünstlerInnen und FotografInnen nicht überflüssig machen wird. Die Fotografie als Medium war schon immer eng mit dem technologischen Fortschritt verwoben. Das Aufkommen der KI fügt dieser Dynamik eine neue Ebene hinzu. KI-generierte Bilder können zwar mit bemerkenswerten technischen Fähigkeiten glänzen, entscheidend ist jedoch die emotionale und konzeptionelle Resonanz, die sie hervorrufen. Das schließt jedoch nicht aus, dass KI den KünstlerInnen auch als Werkzeug dienen kann, das ihren kreativen Prozess unterstützt, anstatt ihn zu ersetzen. KI fügt der Kunst eine weitere Ebene hinzu, allerdings müssen wir mit diesem Werkzeug sehr vorsichtig sein.
FACES: Von welcher Art von Fotografie kannst du nie genug bekommen?
Marina Paulenka: Bilder von Katzen in meinem Instagram-Feed. (lacht)
Marina Paulenka
15 Jahre Kunstbranche hat Marina Paulenka bereits auf dem Buckel. So war die Position als Director of Exhibitions bei Fotografiska Berlin eine logische Konsequenz. Ihre Sporen hat sich Paulenka etwa bei der UNSEEN Foundation in Amsterdam verdient oder als künstlerische Leitung des Internationalen Fotofestivals Organ Vida in Zagreb. Das ruft BewundererInnen auf den Plan – und Preise, wie etwa den Lucie Award als beste Kuratorin, den sie 2018 für ihre Arbeit einsacken konnte. Seit Mitte September 2023 ist die Fotografiska Berlin in der deutschen Hauptstadt der neue Ort für Kunst-Fans und jene, die nicht nur einen verregneten Nachmittag mit Kultur füllen wollen, sondern auch einen ganzen Abend. Das Museum hat jeden Tag bis 23 Uhr geöffnet.
Fotografiska Berlin – The Contemporary Museum of Photography, Art and Culture Oranienburger Straße 54, Berlin
Es lohnt sich, der Fotografiska Berlin einen Besuch abzustatten! Hier findest du alle Informationen für deinen Besuch.
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Teaserfoto & Foto: © Fotografiska Berlin