Lucky Love ist Frankreichs Kronprinz of Pop und musikalische Muse für Gucci und Maison Margiela. Sein märchenhafter Aufstieg überwand Tragisches, offenbarte „Tendresse“ und mündet jetzt im Triumph. Lana Del Rey, Mark Ronson, Jennifer Coolidge und John Galliano zählen zu seinen Fans. Und wir? Sind ebenfalls hin und weg.
„Sobald wir zu atmen beginnen, sobald das Leben anfängt, ist alles möglich.“ Der Optimismus von Lucky Love ist ansteckend. Denn aus seinem Mund klingen diese Worte nicht wie eine Inspirationsfloskel, die dir deine Tante mit dem Bild eines Sonnenaufgangs per WhatsApp schickt, sondern sind das Fazit einer bislang außerordentlichen Biografie. Aus vermeintlichen Unmöglichkeiten schöpfte der in Nordfrankreich geborene Luc Bruyère Kraft, Geduld und Inspiration für eine derzeit steil durchstartende Karriere in der Mode- und Musikindustrie. Wir erwischen Lucky zum Interview auf seiner ersten Konzert-Tour, die ihn unter anderem durch die Schweiz, Kanada und Georgien führt.
Seit anderthalb Jahren wähnt sich Lucky Love in einem Wachtraum. Für einen geborenen Träumer wie ihn eigentlich eine gute Sache. Aber: „Du kannst dir nicht aussuchen, wie dein Traum in Erfüllung geht. Es passiert einfach. Und wenn es passiert, dann solltest du dafür bereit sein. Ich war es anfangs nicht und habe zunächst einfach so getan, als ob. Inzwischen fühle ich mich aber bereit. Ich weiß: Ja, das macht Sinn. Ich bin jetzt da, wo ich sein sollte.“ Im Sommer hat der Sänger seine neue Single „I’m Ready“ veröffentlicht, nachdem im vergangenen Jahr die Debüt-EP „Tendresse“ einen ersten tieferen Einblick in sein Schaffen gab. Mit introspektiven Chansons und schweißtreibenden Popsongs stellte sich Lucky Love als komplexer Künstler vor, der emotional in die Tiefe geht und gleichzeitig ein möglichst breites Publikum anspricht. Schnell zählten zu seinen Fans auch prominente Namen. Sam Smith und Lana Del Rey teilten Luckys Songs online. John Galliano bat den Franzosen, bei der Präsentation der Frühling-Sommer-24-Kollektion von Maison Margiela aufzutreten. Kurz darauf wurde der Song „Masculinity“ für den Soundtrack der Gucci-Show an der Mailänder Fashion Week auserkoren. Die Musikauswahl kuratierte Mark Ronson, der einst Luckys Idol Amy Winehouse produzierte: „Sie war die erste, die mich dazu inspirierte, meine Gefühle mit Musik auszudrücken. Ehrlich zu sein, mich verwundbar zu zeigen und dies mit der Welt zu teilen.“
„Ich wurde zu dem Menschen, der ich sein wollte.“
Die Ankunft zu dieser Erkenntnis erfolgte über beschwerliche Umwege. Luc kam mit nur einem Arm zur Welt, was zu einer einsamen und gepiesackten Kindheit führte. Mode und ausgefallene Outfits dienten dem Teenager, sich von den Blicken auf der Straße zu befreien. „Ich wuchs in einer mittelgroßen Stadt in Frankreich auf. Dort kleideten sich alle gleich, niemand schien eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln und diese durch Kleidung auszudrücken. Aber ich passte aufgrund meines Arms ohnehin nicht in diese Gesellschaft. Also dachte ich, wenn mich die Leute schon anstarren, dann wegen meines Kleidungsstils und nicht wegen meiner Beeinträchtigung. Durch Mode erschuf ich einen Avatar. Ich wurde zu dem Menschen, der ich sein wollte. Und nicht zu dem, der die Natur gemacht hatte.“
Nicht nur modisch glühte die Kreativität im Innern des jungen Lucs. Bereits im Alter von fünf Jahren begann er mit Tanz, mit 15 schrieb er sich in die belgische Kunstakademie von Saint-Luc ein. Zum ersten Mal fühlte sich der Außenseiter unter Gleichgesinnten, geriet aber auch in eine Essstörung und Drogensucht. An seinem 19. Geburtstag erhielt Luc die Diagnose, HIV positiv zu sein. Statt in Verzweiflung zu versinken, stieg in ihm neuer Lebensmut empor. Mit frischem Fokus zog Luc nach Paris, wo er auf Empfehlung von Regisseur Abdellatif Kechiche („Blue Is the Warmest Color“) die Schauspielschule Cours Florent besuchte. In der legendären Drag-Bar Madame Arthur entwickelte der geborene Performer die Kunstfigur La Vénus aux Milles Hommes (mit ihren Initialen LVMH eine spitzbübische Anspielung auf das gleichnamige Luxusunternehmen) und sang zum ersten Mal Lieder live vor Publikum.
Als ein Casting Director Luc in einer Bar entdeckte, schien für den charismatischen Beau die Karriere als Model der nächste logische Schritt zu sein. Doch die Industrie blockierte damals noch. In den vergangenen fünf Jahren habe die Modebranche zwar viel für Inklusion getan, meint Lucky. Doch geschieht dies auch aus den richtigen Gründen? „Anfangs fühlte sich das großartig an, bestärkend. Ich liebte es. Wir sollten jede Art von Schönheit feiern. Ob du eine Behinderung hast oder Übergewicht, ob du eine trans Person bist – all das soll zelebriert werden. Doch inzwischen fühlt sich vieles an wie ein Marketingplan.“ Ehrliche Akzeptanz geriet so mancherorts zu reinem Verkaufskalkül.
„Sei geduldig, Mann. Eines Tages wird alles einen Sinn ergeben.“
Teil der Modeszene ist Lucky Love nun doch geworden. Nicht aufgrund seines Körpers, sondern seines musikalischen und lyrischen Talents. Der Garçon, der seine Kindheit meist allein verbrachte, nennt jetzt unter anderem Guccis Creative Director Sabato De Sarno einen guten Freund. Welchen Rat würde Lucky seinem jüngeren, oft traurigen Ich geben? „Jenen Menschen keine Aufmerksamkeit schenken, die mir weismachen wollten, dass ich nicht auf diese Welt gehöre. Und ich würde mir sagen, dass ich geduldig sein soll. Denn eines Tages wirst du die Familie finden, die du brauchst. Und die Menschen, die dir das Gefühl geben, dazuzugehören. Alles, was mir in meiner Kindheit passiert ist, mein fehlender Arm und sogar meine Süchte – alles, was ich durchgemacht habe, dient jetzt meiner Musik. In gewisser Weise war es notwendig, all das durchzumachen, um jetzt meine Botschaft der Welt zu vermitteln. Sei geduldig, Mann. Eines Tages wird alles einen Sinn ergeben.“
Mit seiner Musik zieht Lucky Love jetzt in eine Welt, in der sich viele Menschen schwer tun, einen Sinn und Schönheit zu finden. Doch der Sänger schenkt seinen Optimismus mit großer Kelle aus und teilt ihn explizit auch in seiner aktuellen Single. „Die Welt fällt momentan in ihre alten Gewohnheiten zurück. Ich kann nicht glauben, dass wir uns immer noch in Kriegen befinden. Doch auch deshalb singe ich im Text von ‚I’m Ready‘: Ich bin bereit zu lieben. Seid ihr bereit? Denn wir haben in unserer Geschichte so oft versucht zu hassen. Und seht, wohin es uns geführt hat. Was wäre, wenn wir versuchen zu lieben? Was, wenn wir versuchen zu verstehen? Was, wenn wir versuchen mitzufühlen? Nicht zu urteilen? Nicht zu allem eine Meinung zu haben? Und ich glaube, die Welt gibt sich tatsächlich Mühe. Das macht mir große Hoffnung. Da draußen sind eine Menge Menschen, die genauso denken. Die sich nach Frieden sehnen. Wir müssen ihnen Raum geben, ihre Botschaft zu verbreiten. Ich bin Franzose und deshalb mit Protesten aufgewachsen. Es liegt mir im Blut. Wir müssen für ein besseres Leben kämpfen, denn die Welt ist momentan ein trauriger Ort. Aber ich denke, dass nach jedem großen Sturm die Sonne am schönsten scheint.“ Eine These, für die Lucky Loves wundervoller Tanz im Rampenlicht der beste Beweis ist.
Wen wir nebst Lucky Love sonst noch abfeiern? Hier sind unsere HeldInnen.
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Fotos: © Fullblvck & Frankie Allio, Titelbild © Enzo Orlando