Da knurrt der Magen und lechzt die Zunge. Gleichwegs juckt es uns in den Fingern, unsere Kreditkarte zu zücken und für die Teile von Collective Swallow durch den Scanner zu ziehen. Denn die Schweizer Designer Anaïs Marti und Ugo Pecoraio bringen zusammen, wofür gleichwohl unser Herz schlägt: Mode und Essen.
FACES: Wie habt ihr zueinander gefunden?
Anaïs Marti und Ugo Pecoraio: Wir haben uns während dem Studium am Institut Modedesign der FHNW kennen gelernt. Wir waren in unterschiedlichen Jahrgängen, hatten uns aber beide mit der Verarbeitung von Latex auseinandergesetzt. Daraus entwickelte sich erst eine Freundschaft und danach Collective Swallow.
F: Wie wichtig war das Modedesign-Studium für eure Karriere?
AM & UP: Sehr wichtig, wir erinnern uns beide gerne an die Studienzeit zurück. Die Freiheit spielerisch zu entwerfen, ohne sich an die kommerziellen Ansprüche des Marktes anpassen zu müssen, gab uns die Möglichkeit zu experimentieren. Man lernt sich dabei besser kennen. Das Studium war ein guter Anfang für uns beide, doch was danach kam – Praktika und Jobs –, war genauso wichtig.
F: Wie kam der Name eures Labels zu Stande?
AM & UP: Swallow hat im Englischen zwei Bedeutungen: schlucken wie auch Schwalbe. Wir fanden den Namen passend, da wir uns für alle unsere Kollektionen von Essen inspirieren lassen. Unsere Entwürfe sind Versuche, gustatorische Erlebnisse und damit verbundene Erinnerungen in Bekleidung zu übersetzen. Collective, weil wir uns als Kollektiv verstehen, denn an der Entstehung einer Kollektion sind immer so viele verschiedene Leute beteiligt. Wir arbeiten gerne mit befreundeten Kreativen aus den unterschiedlichsten Gebieten zusammen.
F: Ihr wohnt nicht in derselben Stadt. Erleichtert das die Zusammenarbeit oder erschwert sie dieser Umstand?
AM & UP: Dadurch, dass wir die Arbeitsbereiche klar aufgeteilt haben in Design (Anaïs) und PR (Ugo), ist auch eine Zusammenarbeit über Distanz möglich. Wir freuen uns aber darauf, 2019 wieder gemeinsam in einem Atelier und einer Stadt arbeiten zu können.
F: Wann wart ihr auf eure Arbeit besonders stolz?
AM & UP: Wir sind stolz, dass unsere Kollektionen auf Nowfashion.com sind. Die eigene Arbeit auf einer Seite zu sehen, auf der wir schon seit dem Studium die Kollektionen anderer Designer betrachten, ist ein spezielles Gefühl. Stolz ist man auch immer, wenn man eine Kollektion auf dem Laufsteg sieht oder man positives Feedback zur geleisteten Arbeit bekommt. Es macht einfach Spass, wenn man eine Kollektion fertig gestellt hat und sie der Öffentlichkeit präsentieren kann.
F: Gab es den Moment, in dem ihr eure Kleidung zum ersten Mal auf der Strasse gesehen habt? Wie war das für euch?
AM & UP: Letztens bei einem Zwischenstopp in Würenlos haben wir einen Pizza-Hoodie gesichtet, das hat uns sehr gefreut.
F: Wo produziert ihr, und welche Herausforderungen stellen sich dabei?
AM & UP: Wir haben es uns auf die Fahnen geschrieben, in der Schweiz und in Europa zu produzieren, was viele viele Vorteile bietet. Uns ist eine nahe Zusammenarbeit mit unseren Produzenten sehr wichtig; kurze Wege und unkomplizierte Partner ermöglichen es uns, schnell reagieren zu können, was in der Mode sehr wichtig ist. Die grösste Herausforderung ist es, gute Partner zu finden, die unsere kleinen Stückzahlen produzieren.
F: Habt ihr schon mal daran gedacht, alles hinzuschmeissen?
AM & UP: Schwierigkeiten gibt es immer wieder, doch Aufgeben ist für uns keine Option. Da ist es auch praktisch, dass wir zu zweit sind und wir uns gegenseitig beruhigen, motivieren und unterstützen können.
F: Wie fordert euch die Modebranche heraus?
AM & UP: Mit eingerosteten Stereotypen wie Frauen- und Männerbildern oder auch Produktionszyklen und Distributionsmodellen.
F: Welche Schweinerei in der Mode ist die schlimmste?
AM & UP: Der respektlose Umgang mit Ressourcen und Menschen. Die Mode unterscheidet sich da nicht von anderen Bereichen.
F: Was ist das Beste und das Schwierigste am Leben als Designer?
AM & UP: Das Beste ist ganz klar die Freiheit kreativ zu sein und die Selbständigkeit, unser eigener Boss sein zu können. Die grösste Herausforderung liegt wahrscheinlich darin, diese Freiheit zu finanzieren.
F: Wie kamt ihr auf die Idee, genderneutrale Mode zu entwerfen?
AM & UP: Wir sind der Überzeugung, dass nicht wir als Designer entscheiden sollen, wer unsere Mode tragen kann und soll. Wir finden es selbstverständlich, Kleider zu machen, die unabhängig vom Geschlecht tragen kann, wer Lust darauf hat. Darum sind unsere Grössen so angelegt, dass sie allen Geschlechtern passen.
F: Empfindet ihr die Gender-Diskussion als aktuellen Trend oder als einen nachhaltigen Gesellschafts-Umbruch?
AM & UP: Ein nachhaltiger Umbruch hin zu einer Gesellschaft, in der alle sind, wer sie sind, sich anziehen, wie sie sich fühlen und in der der Begriff genderneutral obsolet ist.
F: Ihr spielt gerne mit Materialien, von denen andere Designer lieber die Finger lassen. Weshalb tut ihr es trotzdem, und welches Material wollt ihr unbedingt noch verwenden?
AM & UP: Wir setzen uns mit Materialien auseinander, die wir spannend finden und lassen uns dabei von unserem jeweiligen Konzept leiten. Die Suche nach passender Haptik, die für uns zu den gustatorischen Referenzen passt, bereitet uns Freude und treibt uns an.
F: Als Designer will man sich verwirklichen, andererseits zählt aber auch der Ab- und Umsatz. Kümmert es euch, was der Konsument sehen will, und macht ihr euch Gedanken um aktuelle Trends?
AM & UP: Ein grosser Antrieb für uns ist unsere Neugierde, wir schöpfen daraus und entwerfen, was uns interessiert. Unsere Kollektionen sind als Vorschlag zu verstehen, wir entwerfen, was wir gerne sehen wollen und hoffen natürlich, dass es anderen auch so geht.
F: Was ist eure Idee dahinter, eure Kollektionen saisonunabhängig zu kreieren?
AM & UP: Wir wollen Kleider schaffen, die länger haltbar sind, darum arbeiten wir saisonübergreifend. Die klassische Aufteilung in Sommer und Winter scheint uns global gesehen und im Hinblick auf den Klimawandel ein bisschen veraltet.
F: Wie wichtig ist es für euch, dass Menschen wie zum Beispiel Kylie Jenner eure Kollektionen tragen?
AM & UP: Wir freuen uns über jede Person, die unsere Kleider versteht und toll findet. Was bei Kylie Jenner anders ist, sind die drei Millionen Likes für ein Foto mit unserem Anzug.
F: Eure Kollektionen haben immer irgendwie mit Essen zu tun. Was fasziniert euch so am Thema Food, und wollt ihr diese Schiene weiterfahren?
AM & UP: Essen ist sinnlich und genussvoll. Essen spricht alle unsere Sinne an, und unsere gustatorischen Erfahrungen sind eng mit Erinnerungen verknüpft. Wir wollen aus diesem endlosen Fundus schöpfen, darum haben wir die Verbindung von Essen und Mode zu unserem Konzept gemacht. Unsere Entwürfe sollen unsere verschiedenen Sinne ansprechen und sowohl mit unseren Erinnerungen als auch damit verbundenen Klischees spielen.
F: Die Finanzierung des Labels ist wohl eine der grössten Sorgen vieler Designer. Nun erhaltet ihr Unterstützung der Berner Design-Stiftung. Nimmt euch diese Förderung den Druck oder erhöht sie ihn?
AM & UP: Unterstützung durch Fördergelder bedeutet eine grosse finanzielle Erleichterung und eine Riesenfreude über den Zuspruch und die Anerkennung unserer Arbeit. Durch die Unterstützung der Berner Design-Stiftung ist unsere vierte Kollektion erst möglich geworden. Im Moment sind wir dabei, die Finanzierung für die fünfte Kollektion zusammen zu bekommen.
F: Was motiviert euch jede Saison aufs Neue?
AM & UP: Die Lust am Entwerfen und Schaffen. Es ist ein Grundbedürfnis von uns, und die Ideen für die nächste Kollektion spriessen im Kopf jeweils schon, bevor die vorherige ganz abgeschlossen ist; das ist kein bewusster Entscheid.
F: Worin seht ihr eure Aufgabe als Designer?
AM & UP: Inspiration und Denkanstösse zu liefern und unsere Freude an Mode mit einem Augenzwinkern zum Ausdruck bringen.
F: Worauf achtet ihr, wenn ihr Kleidung für euch persönlich kauft? Welche Labels und Grundsätze sind dabei für euch wichtig?
AM: Kleidung soll mir Freude bereiten, ein gutes Gefühl geben und spannend sein bis ins Detail. Ich lasse mich auch gerne überraschen.
UP: Mir persönlich ist es wichtig, dass die Kleidung zu mir passt, darum trage ich auch immer fast dasselbe. Mir reicht ein super produziertes No-Name-T-Shirt, das mehrere Jahre lang hält. Nur bei Sneakers bin ich wählerisch und gerne experimentell unterwegs. (lacht)
F: Was ist euer Ziel? Wo wollt ihr hin?
AM & UP: Freude an Mode mit einem Augenzwinkern zum Ausdruck zu bringen. Wir wollen uns eine Existenz aufbauen mit dem, was uns glücklich macht und bestenfalls auch andere damit glücklich machen. Wir wollen unseren eigenen Weg gehen und etwas zur Veränderung der Branche beitragen.
Collective Swallow: Collection 4
Geschlechter, Klischees, Rollenbilder? So was wischen Anaïs Marti und Ugo Pecoraio achtlos von den Schultern. Als Collective Swallow entwerfen die beiden Schweizer saison- und genderunabhängige Kollektionen. Für ihre vierte liessen sie sich von der nationalen Liebe zu Eiscreme-Bechern inspirieren, von Banana Split und Coupe Dänemark, von Sonntagen auf der Terrasse und dem unglaublich guten Gefühl, sich einen Löffel Eis auf der Zunge zergehen zu lassen.
www.collectiveswallow.it