Muster, Hoodies, seidige Stoffe. Die Herbstkollektion von lala Berlin tröstet uns über schlechtes Wetter und kalte Temperaturen hinweg. Diese Freude an Mode verpackt Leyla Piedayesh in alle Kleider und Taschen ihres Labels lala Berlin, die weder beim Spaziergang durch den Wald noch beim Gang durch die Stadt in der Masse untergehen.
FACES: Du zeigst deine Kollektionen für lala Berlin oft während der Fashion Week in Kopenhagen. Was hat die Stadt, was andere nicht haben?
Leyla Piedayesh: Die Stadt bietet in erster Linie eine internationale Plattform. Zudem bietet der skandinavische Markt für lala Berlin großes Wachstumspotenzial, das sind für unser Label zwei ausschlaggebende Gründe. Für mich hat Kopenhagen ein einzigartiges Charisma. Das macht die Stadt sozusagen zu meiner zweiten Heimat. So konnte ich viele neue Freunde gewinnen. Weiterhin bin ich ein großer Fan von der modernen, dänischen Lebensweise und der Art wie bewusst, offen und fröhlich ein kleines Volk mit sich und seiner Umwelt umgeht. Daher fühle ich mich immer sehr wohl und denke, dass in mir ein skandinavisches Herz schlägt.
F: Was ist in Berlin besser als überall anders?
Leyla Piedayesh: Nach wie vor fühlt man hier eine gewisse Freiheit, die man in anderen Großstädten durch den sozialgesellschaftlichen Druck als beengend empfinden kann. Jedoch zeigt sich die Tendenz, dass immer weniger Platz und Luft bleibt, um diesem Freiraum gerecht zu werden. In der Konsequenz bin ich für das tägliche Leben und das Bewusstsein dankbar – und für die Zeit, die wir jetzt hier haben.
F: Du hast iranische Wurzeln. Was ist typisch iranisch an dir, und wo schlägt die Berlinerin durch?
Leyla Piedayesh: Meine Wurzeln sind im Iran verankert, das ist weitestgehend mit einer emotionalen Ebene verbunden, die von einem orientalischen Moll begleitet wird. Die Weisheit dieser alten Kultur liegt in den Genen und vermischt sich mit der neukonditionierten sehr sachlichen, fleißigen und offenen Kultur der deutschen Welt, und das macht mich auch zu einer Berlinerin, die nie „ihre Schnauze“ halten kann, egal ob es das Gegenüber hören will oder auch nicht. (lacht)
F: Welches ist dein Lieblingsort in Berlin?
Leyla Piedayesh: Mein Zuhause.
F: Was macht deine Wohnung zu einem Zuhause?
Leyla Piedayesh: Meine Familie macht meine Wohnung zu einem zu Hause.
F: Welches Berliner Slang-Wort ist dein liebstes?
Leyla Piedayesh: „Allet jut.“
F: Wo möchtest du unbedingt noch hinreisen?
Leyla Piedayesh: Durch meine
Arbeit habe ich das Gefühl, schon sehr viel gesehen zu haben. Ich habe gerade in diesen Tagen nicht das große Bedürfnis rauszugehen, um Neues zu sehen, sondern eher das, was ich kenne, besser kennenzulernen. Hier ist das Nahegelegene oft die bessere Entscheidung, was natürlich auch der Umwelt zugutekommt.
F: Du kamst selbst als Neunjährige nach Deutschland. Welche Unterstützung hättest du dir damals gewünscht, und wo besteht bis heute Verbesserungspotential?
Leyla Piedayesh: Mir fehlen in erster Linie die Differenzierung und die Individualisierung. Es gibt unterschiedliche Gründe von einer Flucht oder einer Immigration, der eine kommt aus einem Kriegsgebiet, der andere aus anderem politischen Hintergrund, manche wollen auch nur aus Liebe zu einem neuen Land immigrieren. Man kann nicht alle Immi-granten oder gar Flüchtlinge auf einen Sockel setzen und die Erwartungshaltung an all diese Menschen gleichsetzen. Es wird vergessen, welche Vergangenheit sie haben und dass es ihr größter Wunsch ist, in ihre Heimat zurückzukehren. Wie kann man Menschen am besten emotional auf und für das Neue vorbereiten und integrieren, so dass auch sie berücksichtigt werden? Empathie ist alles! Man muss die Menschen auffangen, sie unterstützen und Hilfe bieten.
F: Ein Shirt deiner Kollektion trug die Aufschrift „I’m an immigrant“. Darf bzw. muss Mode politisch sein?
Leyla Piedayesh: Mode kann politisch sein, muss es aber nicht. Es kann eine Plattform bieten, um Gedanken anzuregen und etwas zu bewegen. Zum Teil provoziere ich auch gerne durch meine Mode und mache auf politische Debatten aufmerksam.
F: Was ist Mode?
Leyla Piedayesh: Mode ist mehr als Kleidung. Mode ist eine Form individuellen Ausdrucks.
F: Wie definierst du die Modebranche, und was nervt dich daran?
Leyla Piedayesh: In der Modebranche koexistieren Kreative und Geschäftsleute. Es ist ein stetiger Kompromiss zwischen ästhetischen Visionen und kommerziellem Erfolg. Dadurch wird es zu einer ziemlichen Herausforderung. Mich nervt zu weitem die Schnelllebigkeit, der unglaublich schnelle Rhythmus der Kollektionen. Die Massen an Klamotten, die produziert werden. Der Konsum. Ich sehne mich nach Reduktion aufs Wesentliche.
F: Was entgegnest du Menschen, die behaupten, Arbeiten in der Mode sei oberflächlich?
Leyla Piedayesh: Nicht viel. Ich rechtfertige meine Arbeit nicht. Entweder man versteht die Komplexität und Tiefe dieses Feldes oder eben nicht.
F: Wie viel Leyla steckt in lala Berlin?
Leyla Piedayesh: Es steckt sehr viel Leyla in lala Berlin. Vielleicht nicht immer auf den ersten Blick, aber jede Kollektion ist immer sehr persönlich. Die Kollektion für Herbst/Winter 2020 „OFF THE GROUND“, die wir Ende Januar in Kopenhagen gezeigt haben, ist zum Beispiel meine bisher persönlichste. Ich habe viel reflektiert, was bisher geschehen ist und Inspirationen und Prints, die mir viel bedeuten, wie zum Beispiel die des Falken, wieder in die Kollektion einfließen lassen. Der ganze Entwicklungsprozess hat sich daher wie eine Art Zwischenfazit zu über 15 Jahren lala Berlin angefühlt.
F: Ist nachhaltiges Denken nur ein Trend bzw. ein Hype?
Leyla Piedayesh: Als ich anfing vor vielen Jahren, war das ein Grundgedanke – Entschleunigung und Nachhaltigkeit. Das war auch ein der Grund, weshalb ich zur Stricknadel gegriffen habe, um mit Bewusstsein an alte Werte anzusetzen und dem Gedanken des Selbstgemachten, in das man Liebe und Zeit investiert, einen nachhaltigen Wert zu geben. Weil man einen anderen Blick auf etwas hat, was durch Mühe entstanden ist. Ich denke nicht, dass es nur ein Trend ist, denn die gehen ja wohlweislich wieder weg. Ich denke, es ist wesentlich mehr eine Einstellungssache – ein Mindset – die stillen Gedanken werden zu lauten Stimmen, die man jetzt hören und spüren kann.
F: Wie verstehst du nachhaltiges Handeln?
Leyla Piedayesh: Nachhaltiges Handeln bedeutet für mich Handeln, dessen Effekte langfristig Auswirkungen haben und entsprechende Veränderungen sicherstellen. Beispielsweise Produkte, die in der Herstellung zu viel Wasser verbrauchen, langfristig aus der Kollektion zu eliminieren. Unsere Kollektionsgröße und das Angebot auf ein Minimum zu reduzieren und nicht auf das kreative Ego zu hören, statt 65 Looks nur 24 Looks anzustreben, bei der Entwicklung nicht alle Ideen zu vollziehen und diese genau zu bedenken, bevor man sie startet. Immer darauf hinzuweisen, auch innerhalb des Teams, worum es geht und jeden zum 3-maligen Nachdenken anzuregen. Bei der Produktion auf Überproduktion zu achten und weniger auf Lager zu legen als zu viel, das im Nachhinein nicht verwertet werden kann. Restware wie Stoffe und Garne anderweitig einzusetzen oder anderen zur Weiterverarbeitung zu geben.
F: Wie lebst du Nachhaltigkeit?
Leyla Piedayesh: Ich selbst bin ein relativ bescheidener Mensch und kaufe kaum Kleidung. (lacht) Das ist natürlich sehr einfach bei mir. Das kann man sehr leicht sagen, wenn man eine Modefirma hat und sich aus dem Archiv bedienen kann. Auch alles andere im Leben versuche ich bewusst zu konsumieren und hinterfrage mich, ob ich dies wirklich brauche. Wenn ich doch mal in ein paar Schuhe investiere, achte ich natürlich auf die Qualität und kaufe lieber ein Paar für viele Jahr als zehn von kurzer Lebensdauer. Die gleiche Herangehensweise haben wir auch bei der Gestaltung unserer Kollektionen. Anstelle einer großen Kollektion mit 60 Looks machen wir lieber eine mit 20.
F: Was tust du, wenn du gerade nicht inspiriert bist?
Leyla Piedayesh: Loslassen. Zeit zu Hause mit der Familie und Freunden verbringen – oder auch allein. Und einmal tief durchatmen.
F: Welcher Moment hat alles verändert?
Leyla Piedayesh: Es gab’ einige einschneidende Momente in meinem privaten und beruflichen Leben. Die Geburt meiner Tochter hat wohl am meisten in beiden „Leben“ verändert.
F: Wie bist du als Chefin?
Leyla Piedayesh: So wie auch als Mutter – direkt, liebevoll und manchmal zu ungeduldig. (lacht)
F: Wonach bist du süchtig?
Leyla Piedayesh: Nach der Vorstellung konstanter Verbesserung, aber das ist als Designer wohl eine geläufige Berufskrankheit.
F: Wofür kämpfst du?
Leyla Piedayesh: Für den inneren Frieden, Selbstliebe und die Heilung für unseren allgemeinen Weltzustand. Wenn jeder mit sich gut umgeht, geht er mit den anderen auch gut um. Das ist eine Welt, in der ich Leben möchte.
F: Was würdest du niemals aufgeben?
Leyla Piedayesh: Meine Ideologie und den Glauben daran, dass wir gemeinsam die Missstände der Welt verbessern können. Ich möchte nicht aufgeben, meiner Tochter den best-möglichen Lebensraum zu hinterlassen, auch wenn wir alle nur einen klitzekleinen Beitrag leisten.
F: Wenn du eine Tasche wärst, welches Modell wärst du und weshalb?
Leyla Piedayesh: Ich wäre eine „Muriel“ – einer unserer Bestseller: Eine Tasche so groß und vielseitig, dass mein ganzes Leben hineinpasst.
F: Wen willst du unbedingt noch treffen, und wen schießt du auf den Mond?
Leyla Piedayesh: Ich würde gerne Greta Thunberg treffen. Und auf den Mond würde ich am liebsten alle Ignoranten und Egoisten dieser Welt schicken.
F: Worüber grübelst du zu oft, und worüber solltest du dir mehr Gedanken machen?
Leyla Piedayesh: Ich grüble über Entwicklungen unserer Gesellschaft. Veränderung von Werten, die mich stutzig machen. Durch Meditation habe ich negative Gedanken inzwischen ganz gut im Griff. Anstelle von Grübelei mache ich mir lieber Gedanken darüber, wie ich einen positiven, gesellschaftlichen Beitrag durch meine Arbeit leisten kann.
F: Woran scheitert unsere Gesellschaft?
Leyla Piedayesh: An dem Mangel an Zusammenhalt, Weitblick und Selbstlosigkeit.
F: Was kochst du für Gäste und welches Gericht für dich alleine?
Leyla Piedayesh: Am liebsten koche ich für Gäste traditionell-persisches Essen, dass mir meine Mama beigebracht hat. Für mich selbst bereite ich immer sehr gesunde, meist ayurvedische Gerichte zu.
F: Von welchem Abenteuer träumst du?
Leyla Piedayesh: Ich träume davon, mit all meinen Liebsten auf eine einsame Insel zu ziehen.
F: Wie alt wärst du, wenn du dein Alter nicht wüsstest?
Leyla Piedayesh: Natürlich gibt es Tage, an denen ich so voller Energie bin, dass ich mich wieder wie 25 fühle. Ich werde dieses Jahr 50 und freue mich darauf. Diese Diskussion ums Älterwerden, vor allem in der Modebranche, finde ich unnötig. Ich finde es wichtig, einen offenen Umgang damit zu haben. Wir leben in einem Zeitalter, wo 50 heute nicht mehr wie 50 früher ist.
F: Was gönnst du dir?
Leyla Piedayesh: Eine kurze Auszeit mit meiner Familie in der Natur. Das ist für mich das größte Geschenk.