Auch in der Familie Maag wird gestritten. Aber nicht über Lapidarien, sondern über Materialien und Designs. Danilo und Alessio sind nämlich dem Ruf von Mutter Cinzia gefolgt und haben gemeinsam das Label Inuikii ins Leben gerufen, dank dessen unsere Füsse im Winter nicht mehr frieren müssen.
FACES: Warum funktioniert die Zusammenarbeit als Familie? Und wo gibt es Streitpunkte?
Familie Maag: In einer Familie hat man einen ehrlichen Umgang – den pflegen wir und der macht uns als Familie stark. Jeder hat seine Ansichten und Schwerpunkte, in die er sich vertieft und die so auch respektiert werden. Nichtsdestotrotz prallen gelegentlich zwei oder mehrere Fronten gegeneinander, was jedoch die Zusammenarbeit wiederum stärkt und neue Kreationen hervorbringt. Unruhen vermeiden wir, indem wir viel miteinander sprechen und kommunizieren. Da wir jedoch eine ausgewogene Balance bezüglich Ästhetik und Branding pflegen, arbeiten wir in geeinten Kräften in dieselbe Richtung. Unsere Familie ist der Punkt, in dem Neues entsteht oder Bestehendes fällt.
F: Weshalb ist jeder von euch für den Erfolg der Marke so wichtig?
FM: Metaphorisch gesagt funktioniert die Marke Inuikii gleich wie unsere Familie. Jeder steuert seinen essentiellen Beitrag bei, dies jedoch nicht nur in seiner Kernkompetenz, sondern auch mit seinem Wesen innerhalb der Familie, denn die Worte eines Bruders oder einer Mutter können mehr motivieren und Ansporn sein als von Dritten. Der Erfolg ist also auch Teil unserer Familie – solange wir glücklich sind mit unserem Tun, ist der Erfolg garantiert. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bedeutet unser Erfolg natürlich, dass wir etwas richtig gemacht haben, was uns wiederum in unserem Tun bestätigt. Mit mehr Erfolg kommt auch eine Weiterführung der Bekanntheit der Marke und deren Weiterentwicklung, was sehr spannend ist.
F: Wie viele Menschen arbeiten für euch? Seid ihr gute Chefs?
FM: Total sind wir zehn Personen. Wir sind keine klassischen Chefs, die die Arbeit vorkauen, wir verlangen Selbständigkeit, die wiederum zu Freiheiten in der Arbeit führt. Pflichtbewusstsein wird gross geschrieben, da jeder wichtige Arbeiten übernimmt und somit die Verantwortung seines Bereiches trägt.
F: Ihr lasst alle Produkte von Hand fertigen. Weshalb?
FM: Die schnelllebige Welt erwartet immer mehr für einen kleineren Preis. Verluste in Bezug auf Umwelt und Arbeitsbedingungen werden da meist einfach hingenommen. Hier wollen wir einen Gegen-Akzent und wieder mehr Wert auf Qualität setzen, auch wenn sich diese im Preis entsprechend widerspiegelt. Ein weiterer Grund ist das Handwerk, das das Produkt ausmacht. Es ist kein klassisches Produkt in Bezug auf Produktion – Fingerspitzengefühl, Konzentration und Know-How sind essentiell. In den Inuikiis steckt viel Schweiss und Liebe, was sich in den Details bemerkbar macht. Wir wollen, dass die Menschen wieder verstärkt eine Bindung mit unserem Produkt aufbauen. Inuikii ist nicht nur ein Schuh – sondern auch ein Schmuckstück.
F: Wisst ihr, durch welche und wie viele Hände eure Produkte gehen?
FM: Wir sind kein hochtechnologisiertes Unternehmen, das alles verfolgt. Trotzdem haben wir eine gute Übersicht darüber, wer unsere Produkte trägt oder mag, durch unsere engen Kontakte mit einerseits unseren B2B-Kunden wie auch dem Endkonsumenten.
F: Wo produziert ihr, und was war die Herausforderung dabei, einen guten Produzenten zu finden?
FM: Die Produktion ist und bleibt immer ein extrem spannendes Thema. Wir arbeiten fast ausschliesslich mit italienischen Lieferanten zusammen – von Schnürsenkeln über Leder bis hin zu Textilien. Das Zusammenspiel aller Parteien ist von Saison zu Saison eine grosse Herausforderung. Die Kommunikation wie auch die verschiedenen Kulturen, kaum vorstellbar in der heutigen globalisierten Geschäftswelt, bergen mancherorts unüberbrückbare Hürden. Stetig sind wir daran, mit unseren beiden Produktionsstätten die Prozesse zu optimieren, denn eine Produktion zu finden, die von Beginn weg funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk – unvorstellbar. Daher ist die stetige, sehr nahe Zusammenarbeit das einzige Rezept.
F: Wie schafft ihr es, Abfälle in der Produktion zu vermeiden?
FM: Dies ist einer der wichtigsten Arbeitsschritte, die Materialbestellung und Koordination und das penible Rechnen, um den Restbestand so klein wie möglich zu halten. Einerseits bestellen wir die exakten Mengen, was immer ein Risiko mit sich bringt, und andererseits haben wir ein Konzept, um die Abfälle weiterzuverwenden. Bei vielen Restmaterialien (sollte dies vorkommen) werden im darauffolgenden Jahr wieder die gleichen Styles produziert und über den Online-Shop verkauft. Das war auch ausschlaggebend für die neue Strategie, die wir seit vergangenem Jahr im Verkauf einsetzen.
F: Wie wichtig ist Recycling in der Mode? Und für eure Kollektionen?
FM: Wir denken, dies ist eine ethische Frage. Recycling ist zurzeit ein grosses Thema in der Mode-Branche. Der Fast-Fashion-Bereich wird immer grösser, es wird immer mehr produziert, es entsteht immer mehr Abfall, trotzdem umhüllen sich alle mit Recycling und „ich bin Grün“. Um nicht über Recycling sprechen zu müssen, sollte man eher bedachter produzieren (also bei der Wurzel beginnen), anstatt am Ende des Produktzyklus’ massenweise recyceln zu müssen.
F: Was war die grösste Herausforderung dabei, Inuikii auf den Markt zu bringen?
FM: Die Herausforderung ist immer der Markteintritt. Wir hatten enormes Glück, da Inuikii ein Selbstläufer war und beim Publikum enorm gut angekommen ist. Diese Herausforderung hat sich bei uns nicht zu Beginn gezeigt, aber mit dem Wachstum. Ein immer leidiges Themas ist die Finanzierung der Produktion, da diese mit dem Order-Geschäft im Voraus bezahlt werden muss.
F: Habt ihr schon mal daran gedacht, alles hinzuschmeissen?
FM: An diesem Punkt ist, so glauben wir, jeder Mensch mit jedem Projekt, in das er sich stürzt. Klar gab es dies bei uns, aber nach einem Kaffee und einem motivierenden Gespräch mit einem der Familienmitglieder ist man wieder back-on-track und motivierter als zuvor. Hinzuschmeissen kommt nicht in Frage, dafür macht es viel zu viel Spass!
F: Pro Saison bringt ihr bis zu 70 neue Designvarianten auf den Markt. Man könnte denken, irgendwann gingen einem die Ideen aus! Woher holt ihr immer wieder neue Inspirationen?
FM: Die Inspiration kommt von überall, wir beginnen meist mit einem Kollektions-Konzept sechs Monate bis eineinhalb Jahre im Voraus. Zum Schluss kommt alles anders, und die vordefinierten Themen wurden durch Ideenfindungen beim Laufen oder beim City-Trip über den Haufen geschmissen – kreatives Schaffen eben.
F: Die Inuikii-Kollektionen bestehen aus Boots, Sneakers und Slippers. Könntet ihr euch vorstellen, später auch ganze Modekollektionen zu entwerfen?
FM: Auf jeden Fall können wir uns dies vorstellen, das kommt aber für uns mittelfristig nicht in Frage. Der Lifecycle sowie unser Anspruch bezüglich Qualität und Abfall muss zu einem späteren Zeitpunkt auch in weiteren Modeartikeln gegeben sein.
F: Inuikii klingt nach der Sprache der Inuit. Weshalb habt ihr euch für diesen Namen entschieden, und was steckt dahinter?
FM: Inuikii besteht aus zwei Wörtern: Inu und Ikii. Inu bedeutet attraktiv/schön und Ikii kalt. Zusammen ergeben sie „die Schönheit der Kälte“ in der Sprache der Inuit. Passt jetzt nicht perfekt für den Sommer, aber der Name hat’s drauf!
F: Weshalb sollten wir den Winter in euren Lammfellstiefeln verbringen?
FM: Lammfell ist ein natürliches Material, das einerseits die Temperatur der Füsse reguliert, aber auch beruhigend wirkt. In kalten Zeiten verlässt die meiste Wärme unseren Körper über Kopf, Hände und Füsse. Hinzu kommt, dass sie extrem bequem sind. Der Anspruch war, einen modischen Schuh auf den Markt zu bringen, der warm hält. Durch die Vielfalt der Styles findet jede Frau ihren passenden Stil.
F: Was ist am Winter besser als am Sommer?
FM: Unsere Identität ist der Winter – der Name verrät es. Auch haben wir uns einen Namen im Winter gemacht und uns dort eine Position erkämpft. In der Zwischenzeit haben wir aber auch sehr Gefallen am Sommer gefunden.
F: Lammfell wird immer noch häufig mit Pelz in Verbindung gebracht. Was entgegnet ihr Skeptikern?
FM: Lammfell ist kein Pelz. Pelz wird „produziert“, im Gegensatz zu Lammfell, das als Nebenprodukt der Food-Industrie weiterverwendet wird – analog Leder.
F: Wer sind eure Vorbilder? Und wärt ihr selbst gerne eines?
FM: Jeder muss seine eigene Geschichte schreiben, lernen und erfahren. Sich an anderen zu messen, hat nicht nur immer Vorteile. Wir möchten keine Vorbilder sein, aber Inspirationsquelle – so wie andere Brands für uns. Ein Vorbild muss 100 Prozent das erfüllen, was man sein möchte – und das gibt es leider nicht.
F: Wie empfindet ihr die Situation als Designer in der Schweiz? Bekommt ihr zwischen den vielen internationalen Labels genügend Aufmerksamkeit?
FM: Wir hatten von Beginn weg die Erwartungshaltung, als Schweizer Label in der Schweiz mehr Aufmerksamkeit zu erhalten, was nicht der Fall war. Dies gilt jedoch nicht für alle, diese Partner möchten wir gerne aussen vor lassen. Nichtsdestotrotz haben wir auch gelernt, dass wir als Brand einen Schritt auf die Schweiz zugehen und zeigen müssen, was wir können und was wir sind. Mit der Zeit wurden wir positiv überrascht und müssen uns diesen Fehler eingestehen: nicht nur zu erwarten, aber auch zu geben.
F: Verkauft ihr eure Schuhe auch im Ausland? Und wie läuft’s?
FM: Grundsätzlich verkaufen wir 90 Prozent im Ausland. Die grössten Märkte sind Russland, die skandinavischen Länder, Deutschland, Italien und Amerika. Den Schweizer Markt müssen wir nochmals mit mehr Power angehen und den Vorteil nutzen, dass wir mitten drin sitzen.
F: Was motiviert euch jede Saison aufs Neue?
FM: Die Freude der Kunden und Konsumenten. Es gibt kein schöneres Feedback, als wenn jemand Freude am Produkt hat, das wir für sie machen, sei es ein bestehender oder neuer Kunde, ein Konsument, die Presse, berühmte Personen, und so weiter. Kein Geld kann man damit aufwiegen.