Was brauchen Nachwuchsmodels, um in der Branche möglichst ohne Schaden zu nehmen durchzustarten? Ronja Furrer und Jenny Bachmann wissen es, denn sie starteten beide ihre Modelkarrieren im Teenageralter. Mit ihrer Agentur The Kinship wollen sie die Unterstützung bieten, die ihnen damals gefehlt hatte.
Das Interview ohne Platzreservation in einem von Zürichs hippsten Cafés zu vereinbaren, ist ganz schön wagemutig. Noch couragierter ist es, wie Ronja Furrer und Jenny Bachmann im Teenageralter in einer fremden Stadt als Model durchzustarten. Im Kunstviertel Montmartre teilten sich die beiden 2007 zu Beginn ihrer Karriere ein Apartment. Inzwischen hat Ronja ihren Hauptwohnsitz in New York und zählt zu den international erfolgreichsten Schweizer Topmodels mit Aufträgen für Marken wie Ralph Lauren und Chanel. So wie damals in Paris haben sich die beiden Weggefährtinnen auch im übervollen Café erfolgreich einen Platz erkämpft und erwarten uns zum Gespräch. Anlass ist das erste offene Casting von The Kinship. Jenny und Ronja haben die Modelagentur gegründet mit dem Ziel, neuen Talenten jene einfühlsame Unterstützung zu bieten, die ihnen im Verlauf ihrer Laufbahn oft verwehrt blieb.
Die gute Nachricht: Vieles hat sich im Modelgeschäft inzwischen verbessert.
Die schlechte Nachricht: Längst noch nicht alles.
FACES: Das erste offene Casting liegt hinter euch. Seid ihr zufrieden?
Ronja Furrer: Ja, es war eine mega Erfahrung. Wir wussten nicht, wie viele Frauen kommen werden. Doch dann sind sie ums Haus angestanden.
Jenny Bachmann: Wir sind ohne Erwartungen in diesen Tag gegangen und wussten nicht: Kommen fünf? Kommen nur unsere FreundInnen? Aber es hat mich überwältigt, wie viele sich für das Casting interessiert haben. Es war uns wichtig, dass die Veranstaltung nicht als Wettbewerb ablief. Sondern mehr im Sinne von: Hey, komm vorbei, wir informieren dich.
RF: Weil wir beide Erfahrungen im Modelbusiness haben, war es einfacher für die Leute, Fragen zu stellen. Normalerweise sind die Menschen in der Schweiz eher zurückhaltend, scheu. Aber wir haben gemerkt, dass sich die Frauen trauten, nachzufragen. Unser Ziel ist schließlich auch, die Leute über das Modelbusiness aufzuklären.
F: Was für Fragen wurden häufig gestellt?
JB: Bei den Jüngeren war es oft: Kann ich den Modelberuf irgendwie vereinbaren mit meinem Studium oder meiner Ausbildung? Muss ich meine Schule absagen, wenn ich modeln will? Aber auch viele finanzielle Themen, was uns gefreut hat. Denn das Finanzielle in dieser Branche ist etwas, das viele etwas zwielichtig finden. Wir möchten das ändern und dabei sehr transparent sein.
F: Gehen junge Frauen heute weniger blauäugig in dieses Business, verglichen mit früheren Generationen?
JB: Ja. Ich glaube, da hat eine gute Entwicklung stattgefunden. Junge Frauen kommen und fragen: Was heißt das für meine Ausbildung, meine Finanzen? Als ich mit Modeln anfing, bekam man von den Agenturen meist das Gefühl, du seist jetzt quasi auserwählt worden, diesen coolen Job zu machen. Sag besser nicht, was dich so umtreibt oder dir Sorgen macht. Nimm den Job und gut ist. Sei froh, dass du ihn machen darfst. Aber es ist gesund, wenn da ein Gegenpol entsteht und sich die Talente fragen: Was heißt das jetzt finanziell und für meine Entwicklung allgemein?
RF: Zum Casting sind auch viele Eltern mitgekommen. Es ist wichtig für uns, dass wenn die Tochter minderjährig ist, wir den Kontakt mit den Eltern haben. Gerade wenn es um Finanzielles geht oder um Verträge im Ausland, von denen die Eltern vielleicht nichts verstehen.
„Es braucht in dieser Branche meist mehr Zeit, als man denkt.“
F: Welche Herausforderungen sind seit der Gründung von The Kinship aufgetaucht, mit denen ihr anfangs nicht gerechnet habt?
JB: Was ich unterschätzte, war der rechtliche Teil betreffend Arbeitsvermittlungsgesetz, unter das man als Modelagentur fällt. Aber klar geregelt wird dort auch nicht alles. Es gibt viele rechtliche Weisungen, aber keine Gesetze. Es hat viel Zeit gekostet, die seltsamsten Auflagen zu erfüllen (lacht). Aber wir hatten von Anfang an Sany, eines unserer Models, mit an Bord und konnten schnell starten. Es braucht in dieser Branche jedoch meist mehr Zeit, als man denkt. Klar, es kann sein, dass du the one in a million bist und von heute auf morgen berühmt wirst. Aber in der Realität dauert es oft länger, jemanden aufzubauen wie in diesen Über-Nacht-Märchen. Und eine weitere Herausforderung ist selbstverständlich, Models zu finden.
RF: Wir wählen unsere Models sorgfältig aus, eben weil wir unsere Agentur ausgewählt halten wollen.
JB: Wir sind oft auf Street-Castings gegangen, an Festivals oder Schulen. Oft habe ich das Gefühl, dass jene, die es so richtig wollen, oft nicht jene sind, die wir auswählen würden. Beim Casting waren es zum Beispiel eher jene, die ganz am Schluss gekommen sind und sich fast nicht getraut haben.
RF: Eine war gar nicht für das Casting dort, sondern hat eine Freundin im Restaurant nebenan zum Mittagessen begleitet.
JB: Ich hätte mich damals auch nie im Leben selbst angemeldet.
RF: Ich auch nicht. Es braucht viel, dass es stimmt. Die Größe allein reicht nicht. Nur gut auszusehen, reicht nicht. Es sind nicht nur Oberflächlichkeiten, sondern Herausforderungen, denen du dir bewusst sein musst. Sei es, allein zu reisen. Oder private Pläne, Ferien, sonstige Termine, die du kurzfristig absagen musst, sobald spontan ein neuer Job reinkommt.
JB: Es ist wie bei der Selbstständigkeit. Du bekommst zwar viele Freiheiten, deine Auftragslage ist aber nie ganz klar. Es kann sein, dass du einen Monat gut arbeitest und dann zwei, drei Monate nicht. Das muss man aushalten können. Es braucht einen gewissen Charakter, der diese Sicherheit von einem regelmäßigen Gehalt nicht haben muss.
F: Gibt es einen Ratschlag, den ihr euren Models vor dem ersten Auftrag mit auf den Weg gibt?
JB: Es ist mittlerweile wichtig, was für eine Persönlichkeit du mitbringst. Viele tendieren, auch weil sie jung sind, ans Set zu kommen und nicht viel zu sagen. Um sich wohlzufühlen, hilft es aber auch, Interesse zu zeigen an den Leuten, die da arbeiten. Das hinterlässt einen guten Eindruck. Schön auszusehen und auf den Bildern gut rüberkommen, tun viele.
RF: Aber eine gewisse Energie mitzubringen, liegt auch am Model. Du kannst dir ein Set mit einem Team von vielleicht 30 Leuten vorstellen. Da hängt viel vom Model ab. Wenn du gut drauf bist, ist auch das Team um dich gut drauf und umgekehrt. Deshalb ist es wichtig, dass du eine gute Energie hast und mit allen gleich respektvoll umgehst. Sei das FotografIn, Assistenz, oder Hair- und Make-up-Verantwortliche.
JB: Das Schöne an diesem Job ist, dass du so viele Leute kennenlernst. Du wirst in so viele Teams reingeworfen. Das sollte man versuchen, zu genießen.
F: Was ist der schlechteste Ratschlag, den ihr in eurer Karriere erhalten habt?
RF: Es ist vielmehr, dass wir oft keine Ratschläge erhalten haben, sondern ins kalte Wasser geworfen wurden. Das war für mich die schwierigste Herausforderung, weil du nicht wusstest, was jetzt eigentlich mit dir passiert. Du bist 14 Jahre alt, kommst nach Paris, wirst an ein Testshooting geschickt. Ich hätte mir gewünscht, dass mich jemand über gewisse Insides aufgeklärt hätte. Was es heißt, an dieses Testshooting zu gehen, ein Casting zu machen. Dort hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht.
JB: Meine Weisung war so: Wir schicken dich jetzt irgendwohin. Also bin ich in Mailand gelandet und Mailand war überhaupt nicht der Markt, der zu mir gepasst hat. Dort hattest du viele Curvy-Geschichten, viel Bademode, die überhaupt nicht zu meinem Körperbau gepasst haben. Ich wurde nicht richtig platziert. Ich sehe es kritisch, wenn man einfach losgeschickt wird. Mach einfach mal das. Da könnte man gezielter und mehr auf das Model zugeschnitten vorgehen.
F: Ganz alleine in einer fremden großen Stadt angekommen, erst 14 oder 15 Jahre alt: Wie habt ihr euch damals gefühlt?
RF: Rückblickend ist es ein schöner Moment. Aber mit 14 Jahren war es schwierig. Ich kannte damals ja nichts anderes als mein Dorf in Solothurn. Ich hatte kein Handy, hatte kein Geld. Aber ich habe viel daraus gelernt und bin sehr dankbar, dass ich das erleben durfte. Es hat mir nicht nur für meine Karriere geholfen, sondern auch im Privatleben. Ich weiß, was ich alleine schaffen kann. Und wenn du dranbleibst und kämpfst, wirst du deine Ziele auch erreichen.
JB: Als ich in Paris ankam, hatte ich vor allem Respekt. Ich dachte: Kann ich das wirklich, wieso bin ich hier? Ich glaubte nicht, dass mein Typ gefragt sei. Meine Mutter ist oft nach Paris gereist, also war ich nicht immer komplett alleine. Nur wenn es dann ans Modeln ging, eben schon. Und ich war zunächst unsicher. Doch mit der Zeit bekommt man Selbstvertrauen. Man weiss, was man kann. Wie man sich in einer solchen Stadt durchschlägt.
„Die Größe allein reicht nicht. Nur gut auszusehen, reicht nicht.“
F: Mit The Kinship bereitet ihr euch auch auf eine Karriere nach dem professionellen Modeln vor. Wie beobachtet ihr diesen Schritt bei euren Kolleginnen? Denken sie bereits früh darüber nach, was als Nächstes kommen könnte?
RF: Das ist sehr individuell. Aber ich kenne viele Models, die studieren oder sich weiterbilden.
JB: Ja, das ist zu einer normalen Entwicklung geworden. Es ist auch für Kunden spannend, mit jemandem zu arbeiten, der nebenbei noch etwas anderes tut. Viele Models machen Kunst oder studieren etwas komplett außerhalb der Modeindustrie. Es ist gefragt, wenn du Persönlichkeit hast. Dass du nicht nur ein gutaussehendes Model bist, sondern etwas zu erzählen hast.
F: Als The Kinship seht ihr euch auch als Teil einer Bewegung, um junge Models besser zu schützen. Rückblickend auf die letzten Jahre, bemüht sich die Industrie allgemein mehr darum?
RF: Die Dinge, die wir erlebt haben, passieren heute praktisch nicht mehr. Sei das, wie Agenten mit uns umgegangen sind, das Verurteilen des Körpers, Fotografen am Set, die noch einen Kommentar machen mussten. Seit dem MeToo-Movement arbeitet niemand mehr mit diesen Leuten zusammen. Heutzutage ist es klar, wie man sich an einem Set benimmt und wie nicht.
F: Ergab sich das aus einem allgemeinen Gesinnungswandel der Beteiligten oder waren dazu auch Richtlinien von außen nötig?
JB: Es gibt jetzt gewisse Richtlinien. Beispielsweise, dass du mit Condé Nast erst ab 18 Jahren arbeiten kannst. Auch sonst hat sich viel bewegt. Speziell auf Social Media, was noch gar kein Thema war, als Ronja und ich mit dem Modeln begannen. Jetzt gibt es dort zahlreiche Accounts, die sich für Models einsetzen und vieles ans Licht bringen.
„Es braucht einen gewissen Charakter, der diese Sicherheit von einem regelmäßigen Gehalt nicht haben muss.“
F: Was haltet ihr von einem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestalter von 18 Jahren für Models?
JB: Ich würde es nicht auf eine Zahl festlegen. Es ist schon wichtig, relativ früh ins Business zu kommen, weil der Aufbau einer Karriere Zeit braucht. Mit 16 Jahren Testshootings zu machen, kann ich mir deshalb gut vorstellen. Aber gewisse Regeln aufzustellen, beispielsweise nicht allein eine Wohnung mieten zu dürfen, würde dem Schutz von Jugendlichen dienen.
RF: Ich hätte gerne mehr Regeln, was Zahlungen anbelangt.
JB: Ja, das ist ein guter Punkt. Das Alter ist das eine. Bis du 18 Jahre alt bist, gibt es noch immer die elterliche Instanz, die dir hilft oder mitbestimmen darf. Das andere sind die finanziellen Themen. Und dort passiert oft nichts Gutes oder auch nichts Legales. Ich sehe das im Ausland oder auch in der Schweiz, dass Zahlungen des Kunden direkt an die Agentur gehen und die Agentur dann weiter an das Model vergütet – oft mit null Transparenz. Als Model musst du dann der Agentur glauben, dass sie dir den richtigen Betrag nennen und nicht noch dort und da etwas abzwacken. Das wollen wir anders machen und wirklich separate Rechnungen ausstellen. Damit unser Model sieht, was beide Parteien – Model und Management – effektiv ausbezahlt bekommen. Da gibt es in der Branche noch viel Ausbaubedarf. Auch, dass Models nicht immer nach ihren Honoraren nachfragen müssen.
RF: Es gibt Kunden, die Monate lang nicht bezahlen. Und das Einzige, was man dann machen kann, ist dem Agenten zu schreiben, der den Job gebucht hat.
JB: Irgendwann entsteht ein Misstrauen gegenüber den Agenturen. Ich erlebe oft, dass Models ihren Agenten oder Agenturen nicht mehr getraut haben, was das Finanzielle angeht.
F: Kommen wir nochmals kurz zurück auf Social Media. Ein Thema, mit dem sich inzwischen jedes Model intensiv auseinandersetzen muss. Sind Instagram und Co. eine Belastung oder zusätzliche Chance?
RF: Beides. Und es ist auch individuell. Es gibt Models, die es gerne machen und solche, die es eher weniger gerne nutzen.
JB: Wenn du an Castings oder zu Shows gehst, steht auf deiner Sedcard eigentlich immer, wie viele Follower du hast.
RF: Du musst nicht mehr wie früher mit deinem Portfolio ans Casting. Damals hatten wir noch ein Buch mit unseren Bildern drin. Heute ist es die Sedcard und den Rest gibt es auf Instagram zu sehen. Instagram ist super wichtig für ein Model. Leider, ich bin auch kein allzu großer Fan davon (lacht).
JB: Es dient dem Kunden auch als zusätzliche Werbung. Du nimmst das Model, das eine große Reichweite auf Social Media hat und kaufst diese mit ein, wenn du das Model buchst.
F: Bevor wir uns verabschieden: Was ist der nächste Termin, auf den ihr euch freut?
JB: In den nächsten zehn Tagen gehen wir gemeinsam für ein Wochenende weg. Wir wissen noch nicht, wohin. Wir hören uns zwar fast täglich, sehen uns aber sehr wenig. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir irgendwohin ans Meer reisen.
RF: Das buchen wir gleich noch heute (lacht).
The Kinship
Zu Beginn ihrer Modelkarrieren wurden Ronja Furrer und Jenny Bachmann ins kalte Wasser geworfen. Jetzt brechen sie mit The Kinship auf zu neuen Ufern. Die Agentur mit Sitz in Zürich versteht sich nicht nur als Management, sondern auch als Mentoring für zukünftige Models. Da die Gründerinnen großen Wert auf eine individuelle Betreuung legen, wird nur eine Handvoll von Talenten unter Vertrag genommen. Denn auch wer nicht im kalten Wasser schwimmen lernt, kann eines Tages hohe Wellen schlagen.
thekinship.ch
Fotos: © The Kinship
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