Für die Zukunft von YVY sehen wir schwarz. Und das ist gut so. Denn die dunkel schimmernden Lederkreationen des Labels sind gefragter denn je. Auch, weil Gründerin Yvonne Reichmuth jetzt in das erste Ladengeschäft expandiert hat. Wir haben fürs Interview vorbeigeschaut.
Du bist Kate Winslet. Am Abend wird dir an einem Filmfestival der Preis für dein Lebenswerk verliehen. Die Fotos von deinem Outfit werden um die Welt gehen. Doch deinem roten Overall fehlt es noch am passenden Gürtel. Du bist Kate Winslet und tippst jetzt ganz sicher nicht „black leather belt“ in die Suchleiste von Amazon. Stattdessen erinnerst du dich, vor einiger Zeit eine Designerin kennengelernt zu haben. Ihr Label hat sich auf luxuriöse Lederteile spezialisiert, die ebenso elegant wie verrucht aussehen. Der Zufall will es, dass sie erst kürzlich expandiert hat und das Angebot nicht mehr nur im Internet oder auf Terminvereinbarung im Atelier erhältlich ist, sondern in einem neu eröffneten Verkaufsladen. Doch dieser hat montags geschlossen. (Heute ist Montag übrigens.) Egal. Du bist Kate Winslet, Yvonne Reichmuth ist die Designerin, YVY ist das Label und Zürich ist die Stadt. Ein Telefonanruf und wenige Stunden später trägst du Lederaccessoires und einen extra für den Anlass mit Goldschnalle modifizierten Gürtel auf dem Grünen Teppich vom Zürich Film Festival. Du bist Kate Winslet. Du siehst fantastisch aus. Happy End made by YVY. Und das mitten in den New Beginnings made by YVY. Denn mit der Ladeneröffnung im Zürcher Seefeldquartier startet für die Marke eine neue Ära. Diese zieht eine völlig neue Kundschaft an und verändert den Blick von Gründerin Yvonne Reichmuth auf ihre eigenen Kreationen. Auch darüber haben wir uns beim Besuch mit ihr unterhalten.
FACES: Wir sind vor dem Interview durch unser Archiv gegangen. Im Frühjahr 2020 hast du in einem Gespräch mit FACES gesagt, ein eigenes Ladengeschäft wäre dir zu viel. Jetzt besuchen wir dich darin. Was hat sich geändert?
Yvonne Reichmuth: Wir sind weiter gewachsen und irgendwann kommt man an eine Grenze, wie viel man mit word of mouth erreichen kann. Da habe ich angefangen mit dem Gedanken zu spielen, dass wir einen eigenen Store haben könnten. Ich hatte auch etwas Respekt davor, wie es wäre, wenn ich selber im Laden bin. Wie konzentriert ich dann noch arbeiten kann an all dem, was man sonst noch macht. Doch ich habe immer mehr daran gedacht, dass ich es ausprobieren möchte. Weil es mich wunder nahm, was passieren würde, wenn wir diese Exposure haben von Schaufensterfronten und wie es wäre, wenn wir die Barriere runternehmen. Vorher konnten die Leute zwar ins Atelier kommen, aber man musste einen Termin vereinbaren.
F: Was war dir bei der Lancierung des YVY-Ladens wichtig?
YR: Mein Traum war es, dass wir neben dem Store weiterhin ein kleines Atelier haben können, plus Office, alles in einem. Und das an einer guten Lage und bezahlbar (lacht). Darum hat die Suche einen Moment gedauert. Doch ich bin sehr glücklich, dass wir es gewagt haben. Wir sind hier nicht an einer typischen Einkaufsstrasse, wo die Leute bewusst shoppen gehen. Sondern mehr per Zufall hier vorbeilaufen und uns entdecken. Und Leute, die YVY bereits kennen, haben jetzt einen Ort, wo sie direkt hingehen können. Wir konnten schon viele neue KundInnen gewinnen. Man hat unterschiedliche Leute, von TourstInnen bis zu den Leuten, die hier arbeiten, Anwaltskanzleien, Beauty Centers, Medien. Die Mischung der Leute ist sehr spannend.
F: Dadurch, dass eine völlig neue Sparte von KundInnen mit YVY interagiert, siehst du auch deine eigenen Kreationen in einem neuen Licht?
YR: Absolut. Anfangs haben wir gesehen, wie die Leute vor dem Laden stehen blieben, hinein schauten, zum Teil sogar durch die Scheiben hindurch fotografiert haben – aber nicht reinkamen, weil sie sich nicht trauten. Wir haben dann vor dem Eingang eine Box mit Infokarten hingestellt, die extrem schnell weg gingen. Du merkst also, die Leute sind interessiert, aber sie müssen oft ein-, zweimal vorbeigehen, bis sie reinkommen. Eben weil wir nicht wie ein klassischer Kleiderladen aussehen und die Leute sich nicht trauen oder mich erst fragen, ob sie etwas anprobieren oder anschauen dürfen. Das machst du sonst in einem Kleiderladen nicht. Da nimmst du dir einfach etwas und gehst damit in die Kabine. Am Anfang hatte ich viel mehr Lederpieces aufgehängt. Aber die Leute fragten sich, ob da jetzt ein Fetisch-Store eingezogen sei. Darum haben wir recht schnell angefangen, Schaufensterpuppen in Kleidern und den Lederpieces darüber ins Schaufenster zu stellen. Sobald wir ein Plissée-Kleid mit einem schönen Gurt im Schaufenster hatten, kamen die Leute rein und wollten genau das. Deshalb machen wir auch wieder viel mehr Kleider. Es macht Spaß, diese Kollektion jetzt zu erweitern und die kompletten Looks anzubieten. Es kommen neue textile Designs dazu und gewisse Pieces aus der Vergangenheit, die länger ausverkauft waren, bringen wir auf eine neue Art zurück, wie das Suit Jacket und den Suit Coat. Eben weil wir an den Reaktionen der Leute bemerkt haben, dass wir wieder anfangen müssen, ganze Looks anzubieten, die man tagsüber auf der Straße tragen kann.
„Ich möchte etwas Zeitloses kreieren, dessen Wert besteht oder sogar zunimmt.“
F: Gab es bereits denkwürdige Momente in deinem Laden?
YR: Ja, ich habe sehr viele solcher Momente, die mich flashen, bei denen ich danach wirklich völlig glücklich bin. Weil du die Rückmeldungen auch direkt bekommst und nicht nur Ende Monat deine Zahlen anschaust. Ich kriege es eins zu eins mit, weil ich ja meistens auch hier bin. Es ist extrem, wie viele Leute kommen, eben nicht einfach um etwas zu kaufen und wieder zu gehen, sondern um sich wirklich damit auseinanderzusetzen. Kürzlich war jemand mehrere Stunden im Laden und hat fast alle Bücher, die ich gemacht habe, durchgeschaut. Ich finde es schön, dass das hier auch wie ein Wohnzimmer sein kann. Und dann hatten wir natürlich auch KundInnen, die zum ersten Mal gekommen sind und gleich mehrere tausend Franken ausgegeben haben, was natürlich auch ein super Feeling ist. Auch spannend finde ich, wie viele TouristInnen kommen und du dadurch spürst, wie deine Teile in die Welt hinausgehen, nach New York oder in die Philippinen.
F: Wird dir das mehr bewusst, als wenn die Leute irgendwo auf der Welt im Internet bestellen?
YR: Genau, eben weil es physisch im Laden verkauft wird und die Leute es toll finden, dass sie etwas aus der Schweiz nach Hause nehmen. Einen Gürtel von Gucci können sie auch in New York oder Malaysia kaufen. Aber ein Piece von einer Designerin aus Zürich hat für diese Leute nochmals einen besonderen Wert. Erst recht, wenn sie diese dann auch noch kennenlernen.
F: Ist es diese Bildung einer Community, die es braucht, um Menschen weg vom Online-Shopping an den Bildschirmen und zurück in die physischen Läden zu locken?
YR: Absolut. Wir haben am Anfang lange überlegt, wie wir den Ort nennen und haben es eigentlich immer Space genannt. Weil es eben nicht nur ein Laden ist. Sondern auch ein Studio, eine Event-Location, ein Ausstellungsraum. Und manchmal eben auch ein Wohnzimmer.
F: Was ist dein persönlicher Lieblingsladen?
YR: Abgesehen von unserem? (lacht) Vorletzte Woche war ich in London. Dort bin ich am Dover Street Market vorbei, der immer schön anzuschauen ist, weil es auch so eine Art Installation ist, ein eigenes Universum.
F: Shopping bei regionalen DesigerInnen ist auch eine Art, als TouristIn eine fremde Stadt und ihre Menschen kennenzulernen.
YR: Absolut. Vor ein paar Monaten habe ich in Amsterdam per Zufall einen Store entdeckt. Schöne Ästhetik, super nettes Personal, ich bin auf einen Brand gestoßen, den ich vorher nicht gekannt habe und seither Fan bin. Das ist etwas, das physische Stores auslösen können auf einem Level, den du beim Online-Shoppen nicht hast. Vor allem jetzt, wo jede High Street auf der Welt gleich aussieht, sei es die Champs Elysée oder die Zürcher Bahnhofstrasse. Wo du hingehst, gehört alles Inditex, LVMH und H&M. Da geht eine gewisse Spannung verloren.
„Mein Ziel war immer zu zeigen, was mit dem Material alles möglich ist.“
F: Was hast du über den Werkstoff Leder in all diesen Jahren gelernt und was möchtest du davon deinen MitarbeiterInnen und KundInnen weitergeben?
YR: Mein Ziel war immer zu zeigen, was mit dem Material alles möglich ist. Als ich begann, empfand ich das meiste auf dem Markt generisch. Immer die gleiche Art von Handtaschen, Gürtel, vielleicht noch ein Portemonnaie. Es gibt noch so viele spannende Dinge, die man mit Leder machen kann und auch wie sich die verschiedenen Verarbeitungen mischen lassen. Ein Lederetuis oder eine kleine Tasche scheinen schlicht. Doch wenn du auf die Details achtest, gibt es so viele Variationen. Eine kleine Abwandlung in der Verarbeitung kann den ganzen Look verändern.
F: Seit Jahrhunderten sind Menschen fasziniert von Leder. Warum?
YR: Leder ist etwas, das einem ein gutes Gefühl gibt, wenn du es anfasst. Man kann es gar nicht richtig erklären. Du kannst die verschiedensten Leute fragen und die meisten haben irgendein Lederpiece, das ihnen am Herzen liegt. Die Schuhe, die ich gerade trage, habe ich schon x-mal besohlen lassen. Man pflegt eine persönlichere Beziehung dazu. Schließlich ist es ja Haut. Das hat etwas sehr Sinnliches und Intimes.
F: Wie bereits angetönt, lanciert YVY auch vermehrt Kleidungsstücke, die nicht aus Leder sind. Mit welchen Gedanken gehst du an deren Design? Verstehst du sie primär als Ergänzung zu den Lederpieces oder eine davon komplett unabhängige Vision?
YR: Für mich sind die Kleider eine Art Leinwand für die Lederpieces. Klar, man kann sie auch einfach so tragen, das ist auch schön. Aber es ist nochmals spezieller, wenn du das Piece darüber anziehen kannst. Bei den meisten Stücken ist das die eigentliche Idee. Bei vielen Brands hast du das Kleid, welches durch Accessoires ergänzt wird. Bei uns verhält es sich umgekehrt. Die Accessoires sind die Hauptdarsteller und die Kleider ergänzen das Bild.
F: Was inspiriert deine Designs?
YR: Früher habe ich ein Thema gesucht und auf diesem eine Kollektion aufgebaut. Aber seit einigen Jahren ist es mehr eine Mischung aus allem, was einen bewusst und unbewusst inspiriert. Irgendwann beginnst du auch dein eigenes Archiv wieder anzuschauen und findest dort wieder Inspiration.
F: YVY hat inzwischen den Punkt erreicht, wo man aus der eigenen Geschichte schöpfen kann.
YR: Genau. Es gibt manchmal Pieces, die du vielleicht vergessen hast. Ich hatte dieses Jahr eine Designerin im Team und ihr gezeigt: Schau, das sind alle Pieces, die ich bisher gemacht habe. Wir haben sie ausgedruckt und an die Wand gehängt. Einerseits, um den „roten Faden“ zu sehen und andererseits, um spannende Elemente zu finden, die man wieder aufnehmen möchte.
F: Wie viele sind das?
YR: Über 200 Stück. Und dann hat die Designerin erst diese Teile studiert, um ein eigenes Design zu machen, welches trotzdem die DNA des Brands aufnimmt. Man lernt mit den Jahren, welche Teile funktioniert haben und nimmt das Feedback der KundInnen auf.
F: Wie schätzt du die Modeszene in der Schweiz ein? Könnten hiesige Labels international selbstbewusster auftreten?
YR: Wir können definitiv selbstbewusster auftreten. In der Schweiz ist man generell zurückhaltend. Man kann ein wenig stolzer darauf sein, was man macht. Wir müssen uns nicht verstecken und sollten uns mehr trauen. Das ist auch etwas, was ich bei den KundInnen immer wieder merke. Die Leute wollen eigentlich, aber viele trauen sich nicht, gewisse Teile zu tragen. Das finde ich schade, wenn man sich im eigenen Kleidungsstil zurückhält, weil man sich zu viel daraus macht, was jemand anderes denken könnte oder ob man damit zu sehr heraussticht.
„Ich mache handwerklich nicht mehr viel und vermisse es auch nicht.“
F: Mit einer eigenen Marke wird man auch von der Designerin zur Unternehmerin. Ist dir dieser Übergang leicht gefallen?
YR: Ja, es ist ein fließender Übergang, der mir zum Glück auch Spass macht. Sonst könntest du nicht deine eigene Firma haben. Ich finde alles, was strategisch ist, extrem spannend. Ich mag auch Zahlen und was sie dir sagen können. Es ist aber definitiv auch eine Herausforderung, wenn du von einer Ausbildung im kreativen Bereich kommst und du das alles lernen musst. Ich habe aber zum Glück gute Leute um mich herum, die mich unterstützen. Du kannst auch eine bessere Designerin sein, wenn du andere Dinge verstehst und triffst bessere Entscheidungen, wenn du dich geschäftlich ein wenig auskennst und ein paar Excellisten machst.
F: Vermisst du ab und zu das Handwerkliche aus früheren Tagen? Oder nimmst du dir dafür noch immer regelmäßig Zeit, damit du nicht nur an den Schreibtisch gefesselt bist?
YR: Nein, ich bin tatsächlich an den Schreibtisch gefesselt. Ab und zu gehe ich noch einen Kaffee holen (lacht). Ich mache handwerklich nicht mehr viel und vermisse es auch nicht, obwohl ich eigentlich mit der Liebe zum Handwerk gestartet und anfangs jedes Teil selber gemacht habe. Es ist eine Evolution von mir als Person, dass ich es jetzt spannender finde, die Marke und die Firma aufzubauen und alles was dazu gehört. Vom Design zur Produktion, Vermarktung und Distribution, zu verstehen, wie alles zusammenspielt und wie wir es konstant optimieren können.
F: YVY wird nächstes Jahr 10 Jahre alt. Was sind Momente, Gefühle, Errungenschaften und Krisen, die in diesem vergangenen Jahrzehnt besonders herausstechen?
YR: Wie lange haben wir Zeit? (lacht) Es sind viele kleine Momente, die sich zusammensammeln. Aber auch einige große, die Kollaboration mit Longines war ein tolles Erlebnis. Designpreise zu gewinnen natürlich auch, wie zum Beispiel letztes Jahr vom Schweizer Bundesamt für Kunst und Kultur. Worauf ich auch stolz bin, ist, dass wir von zwei Museen eingekauft worden sind. Das ist für mich ein Zeichen, dass ich mein höchstes Ziel erreicht habe. Nämlich ikonische Designs zu machen. Das interessiert mich mehr als der Hype und Trend von dieser Saison zu sein. Ich möchte etwas Zeitloses kreieren, dessen Wert besteht oder sogar zunimmt.
F: Welche zwei Museen sind das?
YR: Das Museum für Gestaltung und das Landesmuseum in Zürich. Rückblickend gab es auch Celebrity Momente, die immer wieder toll waren. Im Teenageralter war Gwen Stefani mein Idol und jetzt trägt sie meine Designs. Was die Herausforderungen anbelangt, die größte ist, dass du immer weitermachen magst und dass du Freude daran hast, egal was rundherum ist. Du kannst nie still stehen, egal ob du jetzt einen Preis gewinnst oder einen neuen Store hast oder die Verkäufe dieses Monats super waren. Nächsten Monat beginnt alles wieder von vorne. Ich hatte Momente, als ich gefunden habe: Boah, jetzt bin ich müde. Aber dann gehe ich etwas Schwimmen und Schlafen und dann ist wieder gut.
YVY
Seit mindestens 5’500 Jahren tragen Menschen Kleidung aus Leder. Seit bald 10 Jahren kleiden sie sich in Leder von YVY. Die Marke aus Zürich hebt mit Gürtel, Harness oder Choker jedes Outfit auf ein neues Level. Die minimalistischen Designs und hochwertige Verarbeitung fesseln unter anderem Stars wie Billie Eilish, Monica Bellucci und Ricky Martin. Inzwischen designt YVY auch Non-Lederkleidung, auf denen die Accessoires perfekt zur Geltung kommen. Und wer das Angebot nicht nur browsen, sondern fühlen will, kann das neu im Verkaufsladen an der Dufourstrasse 31 in Zürich tun.
yvy.ch
Was Yvonne Reichmuth aus Leder alles zauberst, findest du hier.
Fotos: © Adrian Bretscher, Alex Urosevic