Hämmern, feilen, polieren. Dafür braucht’s Geduld und ein feines Gespür. Noch mehr jedoch: Leidenschaft, und die hat Nicole Hana Kim angesteckt, seitdem sie in einem Kurs zum ersten Mal Schmuck kreierte. Daraus wurde ihr eigenes Label, Hana Kim, für das sie Stücke herstellt, die nicht nur hübsch aussehen, sondern in Sachen Nachhaltigkeit auch noch punkten.
FACES: Wie bist du überhaupt dazu gekommen, Schmuck zu entwerfen?
Nicole Hana Kim: Angefangen habe ich mit einem Kurs, so wie andere einen Töpferkurs machen oder Yogastunden nehmen. Die „Nifeliarbeit“ hat mir schon immer gefallen und bereits in der ersten Stunde war ich so vertieft und konnte kaum die nächste Woche abwarten. Dieser Drang, an Stücken weiterzuarbeiten bis sie fertig sind, ist bis heute geblieben.
F: Wann wusstest du, dass du dein eigenes Label gründen willst?
NHK: 2016 war ich länger in Asien und habe dort den Entschluss gefasst, dass ich mich voll dem Schmuck zuwenden möchte. Ich wusste aber schon sehr früh, dass ich intensiver Schmuck machen möchte. Wenn man etwas entdeckt, das einen so einnimmt, dann fällt der Entscheid sehr leicht. Zurück in der Schweiz habe ich mir dann eine Teilzeitstelle gesucht, um mich voll auf den Schmuck konzentrieren zu können.
F: Wie stehst du zu Trends?
NHK: Ich beschäftige mich nicht mit Trends in der Mode. Trends im weiteren Sinne wie bei Materialien, beispielsweise der Trend nach nachhaltig gewonnenen Steinen oder Metallen, sind wichtig, da so auch die Nachfrage bei Lieferanten steigt. Das wiederum kurbelt das Sourcing in die nachhaltige Richtung an, macht dieses zugänglicher und erschwinglicher. Das Wort „Trends“ ist immer etwas negativ konnotiert, geht es allerdings um Nachhaltigkeit ist diese Tendenz extrem wichtig. Heute können sich Trends extrem schnell verbreiten und im Hinblick auf solche Themen extrem viel bewirken.
F: Was haben deine Kollektionen, was diejenigen von Cartier, Chopard oder Tiffany & Co. nicht haben?
NHK: Zum einen bin ich in einer Preisklasse, die für eine weitaus breitere Masse zugänglich ist, und zum anderen haben meine Stücke eine Geschichte. Jedes Stück wird von Hand und in Zusammenarbeit mit einer Gießerei hergestellt, welche ebenfalls in Handarbeit Gussformen im hauseigenen Atelier herstellt. Ich pflege den persönlichen Kontakt zu all meinen Lieferanten und weiß, dass dort Menschen arbeiten, die jahrzehntelange Erfahrung in diesem Bereich haben. Schmuck ist persönlich, hat oft einen sentimentalen Wert und soll den Träger lange Zeit begleiten. Dass da der Schmuck nicht aus der Maschine rauskommt, sondern von Kunsthandwerkern entlang der gesamten Wertschöpfungskette gemacht worden ist, macht für mich die Magie aus.
F: Deine gemeinsame Kollektion mit Nina Yuun heißt „Heimat“. Was bedeutet dieses Wort für dich?
NHK: Heimatgefühle kommen in mir oft beim Essen oder Musikhören auf. Heimat ist etwas, das für mich nur in der Vergangenheit existiert, wo ich als Kind gelebt habe, wo ich mich geborgen gefühlt habe. Insbesondere auch meine Kindheit als Tochter einer Koreanerin, die in der Schweiz lebt – der kulturelle Hintergrund wurde für mich sichtbar, weil er einen Kontrast zur Schweizer Kultur darstellte.
F: Wieso ist Nachhaltigkeit so wichtig für dich?
NHK: Über viele Aspekte kann man diskutieren, was jetzt nachhaltig ist oder nicht; natürlich ist Nachhaltigkeit ein Kontinuum und weder Schwarz noch Weiss. Aber Nachhaltigkeit im Sinne von Einhaltung von ökologischen Standards und Menschenrechten sollte heutzutage eine Prämisse sein, die am Anfang von allem steht. Das sollte kein Gegenstand von persönlichen Präferenzen sein, sondern meiner Meinung nach gesetzlich geregelt. Wenn man weiss, dass Mindestlöhne, Umweltstandards oder Menschenrechte bei der Produktion von Produkten nicht eingehalten werden, dann sollte dieses Produkt nicht legal erwerblich sein.
F: Wie schwer war es, Quellen für nachhaltig und fair gewonnenes Silber und Gold zu finden?
NHK: Das recycelte Silber war sehr einfach, die größten Raffinerien in der Schweiz bieten recyceltes Silber an. Schwieriger wird es dann bei Komponenten aus Silber wie Ösen und Ketten. Was mich erstaunt hat, ist die fehlende Transparenz. Beim Nachhaken kommen zögerliche Antworten, und dann merkt man schnell, dass die gewünschten Standards nicht erfüllt werden. Beim Gold habe ich länger recherchiert, mich auch noch mit jemandem von Responsible Mining Index getroffen und bei Max Havelaar nachgefragt. Die Schwierigkeit liegt bei der Vergoldung. Beim Vollgold gibt es gute Alternativen, aber bei der Vergoldung ist es etwas komplizierter. Ich beziehe mein Material nun von einem Mitglied des LBMA. LBMA ist einerseits eine Börse, die Edelmetalle auf Reinheit prüft und andererseits für ihre Partner Standards festlegt. Das LBMA ist eine der größten Institute – einige werfen ihr zwar vor, dass diese zu lockere Standards haben, jedoch ist das LBMA eine der wenigen, wenn nicht die einzige Institution, welche die Kapazitäten hat, nachhaltig Standards im Goldmarkt einzuführen und auch zu kontrollieren. Es ist wichtig, dass ein Diskurs stattfindet, man nach Lösungen sucht und nicht für sich die Wahrheit und den goldenen Weg beansprucht. Auch bei Recyclingsilber kann man kritisieren, dass das Silber aus zweifelhaften Quellen stammt, man betrachtet dabei aber nur das Ende der Wertschöpfungskette. Abgebaut werden muss es ja so oder so, das heisst auch recyceltes Silber ist nicht frei von Kritik.
F: Hörst du Musik, während du deinen Schmuck produzierst?
NHK: Ich höre immer Podcasts, Musik eher selten. Ich liebe Podcasts und bin vor allem süchtig nach Wissenspodcasts wie „Stuff you should know“ lustig erzählt von den beiden Hosts, „Radiolab“ und seit neuem die offenen Gespräche über Tabuthemen von Yvonne Eisenring „Wahrheit, Wein und Eisenring“. Wenn es um Podcasts geht, dann bin ich ein richtiger Streber.
F: Welcher Teil des Produktionsprozesses ist dein liebster, und welchen würdest du lieber überspringen?
NHK: Mir gefällt die Arbeit an der Werkbank, die Auseinandersetzung mit dem Material und die Formgebung einer Idee. Die konstante Wechselwirkung zwischen ursprünglicher Idee und dem Prozess, der die Idee wiederum beeinflusst, sodass am Ende etwas Unerwartetes entsteht. Alles muss zusammen spielen, damit etwas Schönes entstehen kann. Manchmal, wenn ich an einer neuen Kollektion arbeite, dann bin ich zu konzeptuell unterwegs, so dass ich einfach nur an der Bank werken möchte und genug habe von der ganzen Designfindung – wenn ich voll in der Produktionsphase bin, dann bin ich auch damit zufrieden, die ganze Zeit an den Stücken zu werken.
F: Was ist das beste Setting, um dich inspirieren zu lassen?
NHK: Definitiv außerhalb des Alltags, sei es im Urlaub oder im Kontakt mit Menschen, die anders sind als ich.
F: Kannst du dich an dein erstes Schmuckstück erinnern?
NHK: Als Kind war ich oft bei meiner Tante, und dann sind wir eines Tages Ohrlöcher stechen gegangen, ich muss da noch sehr jung gewesen sein. Die Ohrstecker sind die erste Erinnerung an Schmuck, den ich getragen habe.
F: Wo stößt du in deinem Alltag an die Grenzen der Nachhaltigkeit?
NHK: Bei der Verpackung von Nahrungsmitteln. Wenn es mal streng wird, dann kaufe ich schnell ein Sandwich im Laden, das ist dann schon absurd, wie viel Abfall zusammenkommt.
F: Wie schwer haben es Designer in der Schweiz?
NHK: Da ich nicht den klassischen Weg als Designer gegangen bin, kann ich das nicht beurteilen. Momentan habe ich das Gefühl auf viele offene Türen zu stossen und sehe viele Möglichkeiten, um voran zu kommen.
F: Was ist der beste Rat, den dir ein anderer Designer gegeben hat?
NHK: Erfolg braucht einen langen Atem. Ich bin generell ein geduldiger Mensch, aber tue mich schwer, wenn mal eine Zeit lang nichts passiert. Kurze Zeit Gas zu geben, fällt mir leicht, aber über längere Zeit eine Konstanz zu behalten, ist schon eine Herausforderung.
F: Welchen Rat würdest du gerne weitergeben?
NHK: Ohne mit einer kitschigen Floskel zu komme; ich glaube, dass man heutzutage trotz tausend Möglichkeiten oft geleitet durch Angst seine Entscheidungen fällt. Aus einem Sicherheitsgedanken heraus werden Risiken gemieden, da spreche ich nicht mal von finanziellen Risiken, sondern konkret wie in meinem Fall, dass man gerne etwas verfolgen möchte, aber aus diversen Ängsten beim Altgewohnten bleibt. Und vor allem einfach anfangen, auch wenn nicht alles stimmt.
F: Bist du mehr Handwerkerin oder Designerin?
NHK: Ganz klar Handwerkerin, ich liebe die Arbeit an der Werkbank, und vor allem das handwerkliche Geschick fasziniert mich. Ich merke, dass es auch bei anderen Schmuckdesignern besonders die Handwerker sind, die mich inspirieren, und nicht die konzeptuellen Designer.
F: Wie beschreibst du Hana Kim?
NHK: Hana Kim ist vor allem Schmuck, der mir in erster Linie selber gefällt. Ein Gefäss für mich, um zu gestalten und neue Dinge auszuprobieren. Schmuck, der den Anspruch hat, zeitlos zu sein und doch mit einer überraschenden Formsprache. Als Halbkoreanerin reflektiere ich auch meine Herkunft im Schmuck, sei es durch Symboliken oder durch ästhetische Elemente.
F: An wem würdest du deinen Schmuck gerne sehen?
NHK: An der nächsten Überflieger-Künstlerin bei den Grammy Awards.
F: Zurzeit verkaufst du deine Kollektionen online und in mehreren Concept Stores. Wäre ein eigenes Geschäft ein möglicher Traum?
NHK: Ja, auf jeden Fall, bereits jetzt hat sich mein Atelier fast in ein Geschäft entwickelt, wo Kunden und Freunde ein und ausgehen – einen schönen Showroom fände ich super.
F: Neben dem eigenen Schmucklabel arbeitest du auch als Illustratorin. Ist es nicht anstrengend, ständig kreativ sein zu müssen?
NHK: Momentan habe ich die Illustrationssachen auf Eis gelegt und möchte mich voll aufs Schmuckmachen konzentrieren. Dass zu viel Kreativität anstrengend sein kann, merke ich vor allem, wenn ich an einer neuen Kollektion arbeite, aber das ist ja dann ohnehin Ausnahmezustand. Sonst sehe ich es sehr als Privileg, tagein und tagaus kreativ zu sein.
F: Wer oder was bereitet dir schlaflose Nächte?
NHK: Das Baby, das in der Wohnung über mir nächtelang wach bleibt. Schlechtes Zeitmanagement ist immer mal wieder ein Thema, aber ansonsten bin ich momentan sehr entspannt.
F: Wann bist du mit dir selbst zufrieden?
NHK: Sehr oft, gerade bei Auftragsarbeiten, wenn ich ein schönes Stück fertig stellen kann, bin ich sehr zu frieden.
F: Was ist typisch Nicole?
NHK: Ein Gipfeli am Morgen essen, ich liebe Gipfeli, das würden auch alle unterschreiben, die in meinem engeren Umfeld sind.
F: Woran merkst du, dass du erwachsen geworden bist?
NHK: Ich habe eine 3. Säule, das finde ich schon sehr erwachsen.
F: Welcher Moment hat alles verändert?
NHK: Als ich meine Atelierpartnerin kennen gelernt habe. Es war nämlich gar nicht so einfach, einen Arbeitsplatz zu finden. Erst diese Begegnung hat mir ermöglicht, überhaupt den Entscheid zu fällen, als Schmuckmacherin zu arbeiten.
F: Worauf bist du stolz?
NHK: Ich habe vor zwei Jahren aufgehört zu rauchen, darauf bin ich stolz, das hat ein paar Anläufe gebraucht.
F: Was nervt dich?
NHK: Mich nerven zynische Menschen. Alte Wutbürger, die sich auf Social Media rassistische Videos anschauen, dann ihrem Hass freien Lauf in den Kommentaren lassen und dabei noch Gehör finden.
F: Wofür sparst du?
NHK: Aktuell für neues Material, neue Kollektionen zu finanzieren und sonst neue Gadgets fürs Schmuck machen.