Die Welt ist ein dreckiger Pool. Doch Ramona Erb mischt das trübe Wasser kräftig auf und macht mit ihrem Label RAMONAERB auf die Probleme aufmerksam, vor denen wir lieber die Augen verschliessen. Dank ihren bunten Prints und frechen Entwürfen macht das Hinsehen dann aber doch so viel Spass, dass wir an ihrer Seite den ersten Schritt gehen.
FACES: Deine Herbstkollektion nennt sich „Orang-Nutan“. Weshalb?
Ramona Erb: In meiner Herbstkollektion 2018 geht es um das Aussterben der Orang-Utans in Borneo/Sumatra. Sie werden gejagt, isoliert und getötet. Die Hälfte ihres Lebensraumes wurde durch die globalisierte Palmölindustrie zerstört. Der Name „Orang-Nutan“ setzt sich einerseits aus der Tierkomponente und andererseits aus dem Ferrero-Produkt Nutella zusammen. Ferrero wurde in der Presse schon öfters negativ mit Palmöl in Verbindung gebracht. Insbesondere auch in Zusammenhang mit der Herstellung von Nutella. Das hat mich dazu inspiriert, einen Satire-Print zu kreieren, bei dem auf einem Glas Schokoladenaufstrich „Orang-Nutan“ steht.
F: Was ist das grösste Problem mit Palmöl?
RE: Das grösste Problem mit Palmöl ist, dass man Palmöl nicht oder schlecht ersetzen kann. Der Ersatz durch Kokos-, Soja-, Sonnenblumen- und Rapsöl hätte einen massiv höheren Flächenbedarf zur Folge, die Treibhausemissionen würden ansteigen. Dies gefährdet wiederum Tier- und Pflanzenarten. In jedem zweiten Supermarkt Produkt steckt Palmöl drin und ist damit in der Lebensmittelindustrie schwer wegzudenken. Allerdings sollte auch dort darauf geachtet werden, unter welchen Anbau- und Produktionsbedingungen Palmöl erzeugt wurde. Nachhaltige, nicht bloss auf Monokulturen ausgerichtete Produktionsstandorte sollten bevorzugt werden. 50 Prozent der gesamten Palmölproduktion werden überdies für Bio-Kraftstoff gebraucht. Ich kann mir gut vorstellen, dass man es in dieser Industrie komplett ersetzen könnte.
F: Verzichtest du in deinem Alltag konsequent auf Palmöl?
RE: Mit Kindern ist es sehr schwierig, konsequent auf Palmöl zu verzichten. Bei meinem eigenen Konsum versuche ich, strikt darauf zu verzichten. Das bedeutet dann auch, dass ich meine geliebte Lindt-Schokolade aus meinem Küchenschrank verbannen musste. Ich lege Wert darauf, welche Zutaten bei der Herstellung von Schokolade verwendet werden. Schwieriger ist es aber mit dem Schoko-Aufstrich. Selbst im Bio-Geschäft gibt es lediglich ein Produkt, das kein Palmöl enthält.
F: Wer liegt dir ausser dem Orang-Utan besonders am Herzen?
RE: Mit Blick auf meine eigene Arbeit liegen mir Menschen am Herzen, die Leid oder Schmerzen erfahren mussten: etwa Flüchtlingskinder oder Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Dass sich unsere wohlhabende Gesellschaft endlich mehr um andere und Schwächere kümmern sollte, das liegt mir am Herzen!
F: Weshalb ist es so wichtig – heute mehr denn je – bewusst zu konsumieren?
RE: Ich denke, bewusstes Konsumieren hat mit Bildung und Interesse zu tun. Wir leben in einer globalisierten Welt, die von grossflächiger Massenproduktion geprägt ist. Das gilt für die Nahrungsmittelindustrie ebenso wie für die Kosmetikbranche oder eben auch die Mode- und Textil-industrie. Nähen ist eine sehr anstrengende Tätigkeit. Wenn ich mir vorstelle, dass gewisse Näherinnen 20 Stunden am Tag arbeiten und dafür gerade mal ein paar Cents erhalten, muss ich sagen, da läuft etwas grundlegend falsch in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Wir alle sind irgendwo Teil dieses Systems und unterstützen und akzeptieren es durch unser Konsumverhalten. Ich achte deshalb sehr darauf, was und wie ich konsumiere, und ich denke, dieses Bewusstsein lässt sich auch über meine Kollektionen zum Ausdruck bringen. Man sollte vermehrt überlegen und darauf achten, was man trägt und wie man eigentlich Tag für Tag herumläuft.
F: Wie definierst du für dich Nachhaltigkeit?
RE: Nachhaltigkeit heisst für mich nicht nur auf nachhaltig produzierte Stoffe zu schauen, sondern auch darauf, woher die Stoffe stammen und ob die Arbeitsbedingungen stimmen. Die Löhne hier in Berlin sind schlecht. Für mich muss sich Arbeit lohnen, und gute Arbeit muss entsprechend entlohnt werden. Darauf achte ich auch bei der Bezahlung meiner Schneiderin.
F: Wo trickst du beim Thema Nachhaltigkeit?
RE: Meine Mode ist auch nicht zu 100 Prozent nachhaltig. Ein Teil der Stoffe sind aus Bio-Baumwolle. Ich versuche einen guten Mix aus nachhaltigen und normalen Stoffen zu erreichen. Zudem stammen meine Stoffe aus Deutschland und Holland.
F: Die Produktion von Mode ist umstritten, weil man als Konsument nur schwer nachvollziehen kann, wo und von wem genau produziert wurde. Hast du einen Tipp, wie man es schafft, besser hinzusehen?
RE: Es ist sehr schwer, sich als Laie einen Überblick zu verschaffen. Grundsätzlich kann man Kollektionen von Lidl, Aldi und Kik meiden. Man kann darauf achten und bei H&M beispielsweise die Conscious-Linie kaufen. Bei dieser Kollektion werden nachhaltige Stoffe verwendet, es wird umweltfreundlich produziert und auf die Arbeitsbedingungen geachtet. Auch Zara hat die Join Life Sustainable Collection ins Leben gerufen, nachdem sie von Greenpeace kritisiert worden sind. Es gibt mittlerweile ein grosses Angebot an nachhaltiger Mode, die man online kaufen kann wie Grundstoff.net oder Hess Natur. Wer etwas mehr Geld zur Verfügung hat, sollte aufstrebende Modelabels unterstützen. Es muss nicht immer Louis Vuitton und Gucci sein. Kleine Modelabels achten auf die Herkunft der Stoffe und verarbeiten diese in Handarbeit zu tollen, langlebigen Kleidungsstücken.
F: Deine Mode lebt von Prints. Wie entwirfst du diese?
RE: Hinter meinen Prints stecken soziale und politische Botschaften. Meine Inspiration finde ich durch Presseberichte und Dokumentationen. Packt mich ein Thema oder steht es bereits fest, recherchiere ich weiter, indem ich weitere Presseartikel zum Thema lese sowie Bilder und Filmsequenzen zusammentrage. Aus den Inspirationsmotiven erstelle ich dann Collagen und kreiere daraus mit Photoshop meine Prints.
F: Wo produzierst du?
RE: Ich entwerfe, konstruiere die Schnitte und nähe alles selber zu Hause in meinem Atelier. Einzig meine Seiden-Blusen, die gebe ich an meine liebe Schneiderin Natalja weiter.
F: Welche Schweinerei in der Mode ist die schlimmste?
RE: Die Ausbeutung von Arbeitern in Billiglohnländern.
F: Mit 29 bist du Mutter, Designerin und dazu noch sozial engagiert. Wie schaffst du es, alles unter einen Hut zu bringen?
RE: Es ist manchmal ganz schön viel! Ich habe viel Energie, Ehrgeiz und Ausdauer. Früher betrieb ich leistungsorientiert Tennis. Ich würde behaupten, dass ich super organisiert bin. Mit drei Kindern hat man keine Zeit, einen Monat für Entwürfe zu brauchen. Ich hatte meine Kollektion innerhalb einer Woche im Kopf und aufs Papier gebracht. Ich überlege das was und wie, wenn ich mit dem Auto oder im ÖV unterwegs bin. Manchmal auch in der Nacht, so dass ich genau weiss, was ich am nächsten Tag zu tun habe. Es kam und kommt schon vor, dass ich bis in die Nacht hinein arbeite. Alle fragen mich, wie ich das mit Kindern schaffe. Es ist alles eine Frage der
Organisation und des Willens.
F: Fällt es dir in Berlin leichter so zu leben als in der Schweiz?
RE: Vor acht Jahren wollte ich nur noch weg – weg vom langweiligen Dorf in die Grossstadt. Als Schweizer war alles günstig in Berlin. Ich konnte hier von meinem Ersparten vier Jahre lang ohne Job leben. Mittlerweile sind die Lebensmittel viel teurer geworden, und die Mieten sind rasant angestiegen. Was in Berlin wesentlich besser ist, ist die vom Staat finanzierte Kinderbetreuung und Unterstützung der Familie. Wäre ich in der Schweiz geblieben, hätte ich jetzt keine Kinder. Da muss ich echt gestehen, dass es in der Schweiz in dieser Hinsicht viel Handlungsbedarf gibt.
F: Was vermisst du an der alten Heimat?
RE: Vieles… Das ist auch der Grund, warum ich dieses Jahr wieder in die Schweiz ziehe. Die Freundlichkeit der Menschen. Die gute Luft und das viel bessere Wetter. Die Wintermonate in Berlin sind hart. Manchmal ist der Himmel über Monate nur grau, und die Sonne zeigt sich gar nicht. Ich vermisse natürlich auch Schweizer Lebensmittel wie Käse, Milchprodukte oder Schokolade. Was ich auch wahnsinnig vermisst habe, ist das Schweizer Fernsehen. Ich bin sportbegeistert und ein fanatischer Roger-Federer-Fan, aber leider konnte ich fast nichts davon im deutschen TV verfolgen.
F: Womit hast du in Berlin als Schweizerin am meisten zu kämpfen?
RE: Mit der Berliner Schnauze. Es gibt so viele unfreundliche und schlecht erzogene Menschen, die sich nicht mal die Mühe machen, aufzustehen, wenn man hochschwanger in der U-Bahn steht.
F: Was hat Berlin, was die Städte in der Schweiz nicht haben?
RE: Die immer fahrende U-Bahn. (lacht) Berlin hat ein wahnsinnig grosses, abwechslungsreiches Kulturangebot, tolle Museen und die sogenannten YORCK Kinos. Viele Kinofilme, die dort ausgestrahlt werden, sind in der Schweiz nie zu sehen. Zudem ist das Nachtleben hier wirklich einzigartig. Da kann keine Stadt in der Schweiz mithalten.
F: Was möchtest du mit deinem Label erreichen?
RE: Ich möchte mit meinem Label das bewusste Konsumieren fördern. Mein Label soll Menschen das Gefühl geben, dass sie mit dem Kauf von Mode Gutes tun. Mein Ziel ist es, dass ich durch den Verkauf meiner Kollektion eine Summe spenden und damit eine Hilfsorganisation unterstützen kann.
F: Wie fordert dich die Modebranche heraus?
RE: Ich habe meine Mühe mit Fast Fashion. Für mich sind die Modezyklen nicht wirklich sinnvoll. Am Ende der Winterkollektion werden schon wieder Entwürfe für die Sommerkollektion gezeichnet. Frühlingskollektionen werden im Januar bereits ausgeliefert. Zu dieser Zeit überlege ich mir im eiskalten Berlin, ob ich mir noch eine wärmere Winterjacke kaufe, die ich dann bis Mai trage. Im August oder September wird die Winterkollektion verschickt. Diese Zeitverschiebung und das grosse Vorausproduzieren bereiten mir Mühe. Ich möchte mich nicht der Fast Fashion anpassen. Eine Kollektion pro Jahr, die Sommer und Winter abdeckt, reicht.
F: Was ist das Beste am Leben als Designer? Und was das Schwierigste?
RE: Der Job als Designer ist sehr abwechslungsreich und spannend. Jede Saison holt man sich neue Inspirationen und entwickelt etwas Neues. Es gibt keine Monotonie. Am Ende des Tages sehe ich, was ich geschaffen habe – seien es Entwürfe oder ein fertiges Kleidungsstück. Schwierig ist, dass der Job mit vielen Überstunden verbunden ist, die überdies nicht bezahlt werden. Viele verstehen nicht, wie viele Stunden Arbeit in einer Kollektion stecken. Zudem kann man als Designer schwer abschalten. Gedanklich ist man Tag und Nacht bei der Kollektion, sieben Tage die Woche.
F: Welche Mode trägst du selbst?
RE: Meinen Stil würde ich als sportlich-elegant mit leicht rebellischen Tendenzen beschreiben. Ich kombiniere oft verschiedene Lala-Berlin-Teile, seien das farbig bedruckte Blusen, Strickpullis oder Mäntel mit Basis-Kleidungsstücken wie zum Beispiel Jeans.
F: Kann man sich überhaupt modisch kleiden, ohne ein schlechtes Gewissen in Kauf nehmen zu müssen?
RE: Das ist eine schwierige Frage. Der Laie weiss oft nicht, wie viel Aufwand und Kosten hinter einem Kleidungsstück stecken. Viele denken auch einfach gar nicht darüber nach, unter welchen Bedingungen ein Schnäppchen für 5 Euro hergestellt wurde. Wenn ich mit meinem Wissen bei Primark einkaufen würde, wäre das für mich aus ethischer Sicht nicht vertretbar. Darum rufe ich dazu auf, sich einfach bewusst damit auseinanderzusetzen, was man eigentlich täglich konsumiert. Lieber mal mehr Geld in die Hand nehmen und dafür Qualität und ehrliche Arbeit unterstützen. Fürs kleine Budget können auch Flohmärkte eine Option sein. Dort finden sich auch immer wieder versteckte Schätze an langlebigen Kleidungsstücken mit guter Qualität. Letzten Endes muss aber jeder mit seinem eigenen Gewissen vereinbaren, wie er sich kleiden möchte.
F: Was bereitet dir schlaflose Nächte?
RE: Kranke Kinder bereiten mir schlaflose Nächte. Aber auch die Arbeit an einer neuen Kollektion kann für schlaflose Nächte sorgen. Im Schlaf kommen mir oft neue Ideen, worauf ich aufwache und ein paar Stunden darüber nachdenke. Traumideen sind meistens die besten. Wenn eine Kollektion abgeschlossen ist, schlafe ich aber wie ein Stein.
F: Wie rettest du die Welt?
RE: Ich alleine kann die Welt leider nicht retten. Ich möchte aber einen Beitrag dazu leisten, dass wir wieder bewusster handeln und nachhaltiger und respektvoller mit unserer Erde umgehen.
F: Was machen wir falsch?
RE: Wir sind zu oft nur mit uns selber beschäftigt und interessieren uns nicht dafür, wie es anderen geht. Gerade in der Schweiz und Deutschland herrscht ein gewisses Wohlstandsselbstverständnis, bei dem viele Dinge, die in der Welt geschehen und vorherrschen, einfach ausgeblendet werden.
F: Wie soll die Zukunft aussehen?
RE: Meines Erachtens sollte in der Modebranche wie in vielen andern Branchen auch ein Umdenken stattfinden. In der Modewelt weg von Fast Fashion und Massen verschwendung an Klamotten hin zu nachhaltiger Produktion, die ethisch vertretbar ist. Zudem sollten grosse Modefirmen Verantwortung übernehmen, eine Vorbildrolle einnehmen und die Millionen von Umsatz sinnvoll reinvestieren, häufiger und ausgeprägter auch in Form von Spenden, Engagements in sozialen Projekten oder ganz simpel dahingehend, dass gute und faire Arbeitsbedingungen geschaffen werden.