Jeder fliegt. Ständig und überall hin. Deshalb schicken wir unseren Autor Maximilian Reich an die Orte, an denen es keine Tourismusbüros gibt, keine Schilder auf Deutsch oder Englisch und niemanden, der dich mit Blumenkranz und Applaus empfängt. Sprichwörtlich an den Arsch der Welt. Diesmal: Serbien.
Kulen-Wurst, Tinder und ein Platter am Arsch der Welt
In Serbien gibt es Kulen-Wurst. Das war lange Zeit das einzige, was ich über das Land südöstlich der Schweiz zwischen Slowenien und Rumänien wusste. Nach der Scheidung meiner Eltern nahm meine Mutter wieder einen Job an. Deshalb engagierte sie Frau Dukic, bei der wir nach der Schule bleiben konnten, bis meine Mutter uns am Abend abholte. Die alte Dame half uns bei den Hausaufgaben und kochte Mittagessen. Sehr oft gab es einfach Brote mit Kulen-Wurst. Eine Art Salami, aber mit einem etwas säuerlichen Geschmack. Das Zeug schmeckte widerlich. Dazu gab es Fenchel- oder Kamillentee, was das Gemüse unter den Getränken ist. Ob Kamille oder Fenchel spielte nun wirklich keine Rolle für ein Kind. Wir hatten mitbekommen, dass in der Heimat von Frau Dukic Krieg herrscht, und wir trauten uns nicht gegen jemanden zu protestieren, der aus so einer rauen Gegend kam. In meiner kindlichen Vorstellung war Frau Dukic eine Mischung aus Cruella De Vil und Chuck Norris, die beim Haarewaschen die Augen offen lässt und beim Zahnarzt keine Narkose braucht. Als Kind war für mich so was knallhart.
Als ich älter wurde, konnte ich alleine auf mich und meine Geschwister aufpassen. Wir mussten nicht mehr zu Frau Dukic, und seitdem habe ich eigentlich nicht mehr über das Land nachgedacht. Bis mein Chef mich gestern anrief. „Max, wie findest du Serbien?“
Eine merkwürdige Frage. „Äh, mit Google Maps?“
„Witzbold. Ich meine, was du von Serbien hältst.“ Er sagte das so, wie man jemanden nach seiner Meinung fragt, wenn man zwischen zwei Krawatten für das Gala-Dinner am Abend schwankt. Was hältst du von dem Schlips mit den gelben Enten zum grauen Sakko?
„Naja, also das kommt drauf an. Wenn du überlegst, wo du deinen Sommerurlaub dieses Jahr verbringst, würde ich dir vielleicht eher zu Santorin raten.“
„Danke, aber ich will weder nach Serbien noch nach Santorin. Du sollst da hin.“
„Nach Santorin?“
„Nach Serbien!“
„Ist da nicht Krieg?“
„Schon seit fast 20 Jahren nicht mehr. Vielleicht solltest du ab und zu auch mal eine Zeitung lesen, statt nur dafür zu schreiben.“
„Ach“, winkte ich ab. „Printmedien sterben doch sowieso bald aus.“
„Willst du, dass deine Aufträge aussterben?“
„Äh,… nein!?“, sagte ich kleinlaut.
„Sehr schön. Dann fliegst du also nächste Woche nach Serbien und schreibst eine neue Folge für unsere Kolumne „Urlaubsgrüsse vom Arsch der Welt“. Dann legte er auf. Ich zündete mir eine Zigarette an und begann mit meiner Recherche, während ich laute Flüche aussprach. Besonders grosse Lust hatte ich nicht. Es gibt in Serbien weder einen Strand, noch ist das Land bekannt für seine Architektur oder Kunst. Ich habe viele Freunde, die in letzter Zeit geheiratet haben. Oft sitze ich bei ihnen am Frühstückstisch. Aber noch nie hat jemand von ihnen erzählt: „Wir sind ja gerade von den Flitterwochen aus Serbien zurück. Ganz bezaubernd. Das Venedig des Balkans, nicht wahr Schnurzelchen?“ Schnurzelchen nickt und greift nach der Prosecco-Flasche. „Noch ein Gläschen Mimosa?“
Wenn ich von Serbien höre, dann eigentlich nur in Hollywoodfilmen, wo die Serben stets die Schurken spielen, ähnlich wie wir Deutschen. Klar ist es bloss ein gemeines Klischee. Andererseits, irgendwo muss das ja herkommen. Dass man die Rolle des Nazis immer mit einem Deutschen besetzt und nicht mit einem Isländer, liegt ja leider auch nicht bloss daran, dass uns Seitenscheitel besser stehen.
Nur das Beste für Star-Autoren
Die Hauptstadt von Serbien ist Belgrad, und – wie ich bei meiner Ankunft dort feststelle – überraschend schön. Eine pittoreske Grossstadt mit hübschen Boutiquen und kleinen Cafés, die sich am Fluss Slave entlang reihen. Durch die Fussgängerzone flattert ein bunter Schwarm aus jungen und alten Menschen. Beinahe alle Frauen stöckeln auf hohen Schuhen und präsentieren ihre schlanken Beine unter einem knappen Minirock, während die Männer alle einen Bart tragen. Ich erwähne das deshalb, weil ich selbst den Bartwuchs eines japanischen Babys habe und neidisch jedem Mann mit Gesichtsbehaarung hinterhergucke. Ich könnte als Schiffsbrüchiger auf einer einsamen Insel leben, und nach fünf Jahren hätte selbst der Basketball, mit dem ich Gespräche führen würde, mehr Barthaar als ich. Als Jugendlicher hatte ich gehört, dass häufiges Rasieren den Haarwuchs anregt. Weil ich keinen Rasierer besass, hatte ich mir täglich die Enthaarungscreme meiner Mutter auf die Oberlippe geschmiert. Das hatte aber bloss den Effekt, dass meine Oberlippe ständig brannte und nach Pfirsich roch.
So wie in New York an jeder Strassenecke ein Hot-Dog-Stand steht, findet man hier in Belgrad überall auf den Gehwegen Gefriertruhen. Ältere Damen oder Herren sitzen davor und verkaufen Eis am Stiel daraus. Das zerstört mein Bild vom raubeinigen Serben ein bisschen. Wer einen tropfenden Flutschfinger in den Händen hält und angestrengt mit der Zunge am Boden leckt wie ein Hund am Wassernapf, damit das geschmolzene Eis nicht die Pfoten verklebt, wirkt einfach nicht bedrohlich. Überhaupt fühle ich mich hier dackelwohl. Die Stadt wirkt auf mich wie eine Mischung als Berlin und Paris, die Shabby und Chic vereint mit wunderschönen Häuserfassaden und hippen Bars, und gerne würde ich noch länger bleiben, aber schon am nächsten Morgen geht mein Zug nach Sremski Karlovci.
Sremski Karlovci ist ein kleiner Ort an der Donau, 80 Kilometer nördlich von Belgrad. Die Fahrt kostet umgerechnet 3,50 Franken. Nach anderthalb Stunden steige ich aus und stehe vor einem kleinen Bahnhofshäuschen, von grünen Sträuchern und Bäumen umringt und mit nur einem Bahnsteig davor, kaum breiter und höher als ein Radweg. Daneben verläuft ein schmaler Kiesweg, über den ich meinen Trolley ziehe. Als ich um die Ecke biege, baut sich vor mir der Marktplatz auf. Drei Cafés auf der rechten Seite, mit aufgespannten Sonnenschirmen, und eine Kirche gegenüber. Dahinter plätschert ein Brunnen. Eigentlich ganz nett. Am Rande des Platzes entdecke ich das Prezident Hotel, das die Redaktion für mich gebucht hat. Als ich über die Sonnenterrasse eintrete und das Schild an der Tür lese, stelle ich erfreut fest, dass es sich hierbei um ein 5-Sterne-Luxus-Ressort handelt, mit Spa und Zimmerservice und allem Pipapo. Da hat die FACES-Redaktion tief für mich in die Tasche gegriffen. Nach all den Jahren, die ich mittlerweile für dieses Heft schreibe, wurde es auch Zeit für ein bisschen mehr Wertschätzung. Man muss seine Star-Autoren pflegen. „Guten Tag. Für mich wurde ein Zimmer reserviert“, sage ich zu der Dame hinter der Rezeption und schiebe ihr den Booking.com-Ausdruck über den Tresen zu, als handle es sich dabei um eine American-Express-Karte, und ich hätte gerade 5 Kilo Einhorn-Hackfleisch bestellt. „Und packen Sie es mir bitte ein. Der Preis spielt keine Rolle.“ Die Dame wirft einen kurzen Blick auf meine Buchungsbestätigung und schiebt sie dann wieder zu mir zurück. „Da sind sie hier falsch. Dies ist das Premier Prezident Hotel. Sie haben ein Zimmer im Vila Prezident Hotel.“
„Oh. Äh. Und wo ist das?“
„Da müssen Sie die Strasse hinter dem Marktplatz immer geradeaus. Ungefähr zehn Minuten von hier am Rande des Dorfes.“
Eilig stecke ich den Zettel zurück in meine Tasche und greife meinen Trolley. Die Situation ist mir peinlich. Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das Hotelgast gespielt hat, und möchte schnell von hier weg. Als ich hinaustrete, steht die Sonne hoch am Himmel. Der Schweiss tropft mir von der Stirn, während ich meinen Koffer mühsam über eine Landstrasse einen Hügel hinauf ziehe. Hinter dem Marktplatz führt eine schmale Gasse durch eine Schlucht aus baufälligen Einfamilienhäusern. Hinter einem von ihnen kläfft ein Hund. Nach circa 800 Metern hören die Häuser plötzlich auf. Wo gerade noch Beton stand, wächst nun Gras. Weite Felder zu beiden Seiten der schmalen Landstrasse, über die ich meinen Koffer ziehe, eine Gruppe Fahrradfahrer in hautengen Ganzkörperkondomen radelt an mir vorbei. Nach weiteren 200 Metern taucht auf der linken Seite ein grosses Schild am Strassenrand auf. „Villa Prezident.“
Beschwipst in Serbien
Die Villa sieht ein bisschen aus wie das Haus meiner Oma. Ein zweistöckiges Gebäude aus grauem Stein mit einer Hollywood-Schaukel auf der Terrasse. Ich checke an der Rezeption ein und beziehe mein Zimmer. Immerhin: Es ist geräumig und sauber, und auch die Matratze ist weich. Ich schiebe meinen Trolley unter das Bett und gehe wieder hinunter in das Zentrum. Schliesslich bin ich nicht zum Vergnügen hier, sondern soll einen Text über das Dorf schreiben. Auch wenn ich keinen Schimmer habe, womit ich den füllen soll. Das Wahrzeichen ist ein vierkantiger Springbrunnen auf dem Marktplatz mit vier Löwenköpfen, der den originellen Namen trägt „Die 4 Löwen“. Direkt daneben befindet sich die orthodoxe St. Nicholas Kirche. Ein schmales Gotteshaus mit zwei weissen Türmen und einem schmalen Hauptschiff. Ich finde ja, Kirchen sind wie Babys und sehen im Grunde alle gleich aus. Sicher, es mag Unterschiede geben – aber man denkt sich beim Anblick nie: Hoppla, was ist das denn? Man findet dort nie einen Billardtisch oder eine Espressobar. Manchmal besteht der Gang zum Altar aus weissen Fliessen, in diesem Fall sind sie weiss-rot. Am Ende befindet sich der Altar, über dem ein dutzend goldgerahmte Götzenbilder in zwei Reihen angeordnet sind wie beim Memory Spiel. Wie gesagt, Kirche halt. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist das Gymnasium. Ein gelbes Mauerwerk aus dem Jahr 1891 mit rot umrandeten Fenstern und einem Glockenturm in der Mitte. Ich hatte mal ein Date und habe vor einem Spielplatz gewartet, bis sie aus dem Haus gegenüber kam. Gekommen ist aber erst mal bloss der Polizist, der meinen Ausweis kontrolliert hat, weil besorgte Mütter ihn gerufen haben. Seitdem halte ich mich von Einrichtungen von Kindern lieber fern. Ich verzichte also auf einen Blick in die Schule und setze meinen Bummel durch den Ort fort. Dabei notiere ich in mein Notizbuch eine Apotheke, eine Tankstelle, zwei Einkaufshäuser und – wenn ich keinen übersehen habe – sieben Weinkeller. Offenbar ist die Gegend ein bekanntes Weinanbaugebiet in Serbien. Ein Klassiker soll hier der „Bermet“ sein. Da ich sowieso Hunger habe, lasse ich mich im „Four Lions Restaurant“ direkt am Brunnen nieder und bestelle ein Glas Bermet und den „Serbischen Hamburger“ für 4 Euro. Der Kellner nickt und bringt mir eine Scheibe gepresstes Hackfleisch und drei Zwiebelringe. Kein Salat, keine Tomaten, und vor allem: keine Brötchen über und unter dem Fleisch.
Der Kellner blickt mich an: „Alles gut?“
Ich möchte nicht zugeben, dass ich einen Fehler gemacht habe. Ich stünde als Depp da, der zu blöd für eine Essensbestellung ist und würde den Kellner obendrein in Verlegenheit bringen. Also mache ich gute Miene zum bösen Spiel. „Super. Fleischscheibe. Yummy.“ Und auch der Kräuterlikörwein schmeckt eher, als ob jemand ein Fläschchen Underberg in einen Sangria-Kübel gekippt hätte.
Nach dem Essen – also genau zwei Minuten später, denn länger braucht man nicht, um ein Fleisch-Patty zu verdrücken – bestelle ich ein zweites Glas und öffne meine Tinder-App. Mein Zug geht erst in zwei Tagen zurück, und irgendwie muss ich die Zeit bis dahin ja totschlagen. In Sremski Karlovci zu tindern ist allerdings, als würde man in Kanada nach Gold schürfen. Hier leben gerade mal 9’000 Menschen, und ich habe bereits drei Gläser Bermet im Blut und einen kleinen Schwips, bis ich endlich ein Match habe. Eine 28 Jahre alte Engländerin namens Melissa, mit schimmernd grünen Augen und einer sportlichen Figur, die in einem tiefausgeschnittenen Abendkleid steckt, das wenig Platz für Fantasien lässt. Aufgeregt bestelle ich ein weiteres Glas Bermet, der mir immer besser schmeckt, und tippe eine Nachricht in mein Handy: „Hi, was verschlägt eine so schöne Frau in dieses Kaff?“
„Bin mit meinen Eltern zum Fahrradfahren hier. Und du?“
„Soll einen Artikel über den Ort schreiben. Weiss aber nicht was. Hier gibt’s nichts.“
„Mir ist auch langweilig. Lust auf ein Abenteuer?“
Ich kippe meinen Bermet hinunter und lese die Nachricht nochmal, um mich zu vergewissern, dass mein betrunkenes Hirn mir keinen Streich spielt. Aber auch beim wiederholten Lesen steht dort immer noch schwarz auf grau, dass diese Schönheit mit mir schlafen möchte. Meine Finger zittern vor Aufregung, als ich meine Antwort tippe: „Klar. Wann und wo?“
„Wie heisst dein Hotel? Ich komme um 15 Uhr bei dir vorbei. Okay?“
Okay? Kackt der Goldfisch in den Teich? Klar ist das okay.
Ich verlange nach der Rechnung und eile zurück ins Hotel, um mich frisch zu machen. Ich springe unter die Dusche, putze meine Zähne und tausche mein T-Shirt gegen ein Hemd. So, fertig. Baby, zu Papa.
Picknick und Patties
Um halb vier klingelt endlich mein Telefon. „Bin da, komm runter.“ Unten vor der Tür steht die wohl schönste Frau, die ich je in meinem Leben gesehen habe – und hält ein Fahrrad in der Hand. „Komm, wir machen ein Picknick.“
„Ein Picknick?“ frage ich nach und gebe mir grosse Mühe, meine Enttäuschung zu verbergen. Was soll das denn für ein Abenteuer sein? Sonst hiesse es ja „Indiana Jones und das letzte Picknick“.
„Ja, ich hab Wein und Baguette und Käse und Obst dabei.“ Sie klopft auf eine Tasche, die hinten in einem Korb auf dem Gepäckträger liegt. „Du fährst, und ich sitze auf dem Lenker. Oder hast du etwa keine Lust?“ Sie trägt einen bunten Sommerrock und ein pinkfarbenes Top, das wunderbar zu ihrem braungebrannten Dekolleté passt. Diese Frau hätte mir auch vorschlagen können gemeinsam Dixi-Klos auf Rockfestivals zu säubern, und ich hätte gerufen: „Jippie, was stehen wir dann hier noch rum?“
„Doch, klar“, sage ich also und schwinge mich auf den Sattel. Und das muss ich zugeben: Die Landschaft um Sremski Karlovci ist wirklich hübsch. Wir fahren vorbei an grünen Wiesen und weiten Feldern, passieren Blumenbeete und einen Fluss. Ich kann verstehen, warum viele Menschen zum Fahrradfahren herkommen. Ausserdem gibt es kaum Verkehr, und wir haben die Landstrasse für uns.
Während meine Begleitung vor mir auf dem Lenker hockt und Selfies von sich schießt, trete ich mühsam in die Pedale. Die Sonne knallt mit 30 Grad auf uns herunter und treibt den Schweiss aus meinen Poren. Der Alkohol in meinem Blut tut sein Übriges dazu. Als es ein Stück bergab geht und unser Vehikel Fahrt aufnimmt, greift sie erschrocken nach meinen Unterarmen, um sich festzuhalten und lässt sofort wieder los. „Igitt, du schwitzt ja. Bäh“, sagt sie und wischt sich ihre Hände an der Jacke ab. Nach ungefähr fünfzehn Minuten eiert plötzlich das Vorderrad. Melissa guckt von ihrem Handy auf. „Was ist das?“
„Ich glaub, wir haben einen Platten“, sage ich und halte an.
„Bist du über Glasscherben gefahren?“
„Ich hab keine Ahnung. Ich hab bloss deinen Rücken gesehen.“ Ich hätte auch einen ganzen Spiegel vor mir auf der Strasse übersehen.
„Na super“, nölt Melissa, als wäre der Schlamassel meine Schuld und tippt schon wieder auf ihr Handy. Ohne vom Bildschirm aufzugucken, fragt sie: „Wie lange brauchst du, um ihn zu flicken?“
„Ich? Ich habe keine Ahnung, wie man das macht. Hast du überhaupt Flickzeug dabei?“
„Ne, ne, mein Lieber. Ich hab schon die Picknicktasche besorgt.“
Wie soll man diese Logik kontern? „Jedenfalls kann ich das Fahrrad nicht reparieren.“
„Was bist du denn bitte für ein Mann, der keinen Reifen flicken kann?“
Ich wusste nicht, dass es ein Zeichen von Männlichkeit ist, einen Fahrradreifen zu flicken. Ich habe auch noch nie John Rambo auf einem Holland-Rad durch Vietnam radeln sehen.
„Und was jetzt?“
„Wir können doch auch hier einfach unsere Decke ausbreiten und picknicken.“ Ich deute mit der Hand auf die grüne Wiese zu unserer Rechten. Melissa guckt allerdings, als stünde dort eine Klärgrube.
„Nee, hier will ich nicht.“
„Und was dann?“
„Ach, weisst du was? Wenn du nicht mal ein Fahrrad flicken kannst, bist du eh nichts für mich. Ich glaub, ich kehre um.“
Ich starre sie mit offenem Mund an. „Ist das dein Ernst?“
„Ja“, sagt sie und marschiert mit dem Handy in der Hand zurück in die Richtung, aus der wir kommen, ohne mir noch weiter Beachtung zu schenken. Ich stapfe grummelnd zehn Meter dahinter. Es ist gar nicht so die Enttäuschung über den unerwarteten Ausgang dieses Dates oder dass mir die Männlichkeit abgesprochen wurde, was mich so verstimmt. Viel stärker ärgert mich, dass ich Volldepp trotz allem noch ihr Rad für sie nach Hause schiebe. Ich bin wirklich ein Weichei.
Als ich endlich wieder im Hotel bin, knurrt mein Magen. Ich bin aber zu erschöpft nach dem Marsch, um ein Restaurant zu suchen. Die Küche im Speiseraum des Hauses wird es auch tun, denke ich und studiere die Speisekarte. Dort finde ich den „Gourmet Burger“. Möglicherweise heisst er so, weil er im Gegensatz zum profanen Burger für das Proletariat auch zwei Brothälften und Salat beinhaltet, hoffe ich, frage zur Sicherheit aber beim Kellner nach: „Kommt der Gourmet Burger mit Brot?“
„Natürlich“, sagt der schmale Mann mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte ich ihn gefragt, ob er beim Kochen eine Hose tragen wird. Ein paar Minuten später kommt er aus der Küche zurück und stellt vor mich einen Teller, auf dem wieder bloss das gebratene Fleisch-Patty liegt und ein paar Zwiebelringe. Daneben platziert er einen Korb mit geschnittenem Baguette. „Bitteschön, ihr Brot.“
Selbst Kulen-Wurst wäre mir jetzt lieber.
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