Als Kind wollte sie entweder Nonne oder Showgirl werden – wegen der Kostüme. Stattdessen stieg Pamela Anderson zum größten Weltstar der Neunzigerjahre auf. Und trug als Verkleidung ein höfliches Lächeln, als die Öffentlichkeit über sie geiferte und gackelte. Inzwischen lebt Pam wie eine Nonne und ist für ihren neuen Film doch noch Showgirl geworden. Happy End? Nein, ein Neuanfang.


Was ist das absolute Gegenteil von einem Strand in Malibu? Offensichtlich: ein Internetforum, das dem 96-jährigen Linguistik-Professor und Kapitalismuskritiker Noam Chomsky gewidmet ist. Genau dort beginnen wir deshalb unsere Geschichte über Pamela Anderson. Oder „Comrade Anderson“, wie die Schauspielerin von den r/chomsky-UserInnen respektvoll betitelt wird, wenn sie mal wieder den greisen Antiimperialisten öffentlich zitiert hat. Denn eben dort, im absoluten Gegenteil von einem Strand in Malibu, schillern die spannendsten Facetten von Pamela Anderson. Ein Hollywoodstar, der auf Bühnen mit dem Philosophen Srećko Horvat oder dem ehemaligen Finanzminister Griechenlands und marxistischen Ökonomen Yanis Varoufakis über europäische Politik referiert. Ein Playboy-Model, das WikiLeaks-Gründer Julian Assange regelmäßig im Londoner Gefängnis besuchte und – echt jetzt? – vor 15 Jahren erfolgreich bei Wladimir Putin ein Importverbot von kanadischen Babyrobben-Pelzen erwirkte. Alles, ohne dass ihr dabei die Kamera in Zeitlupe aufs Dekolleté filmte.


Hohe Wellen
Beim Namen Coca-Cola taucht in unseren Köpfen gleich das Bild einer roten Dose mit weißem Schriftzug auf. Bei Pamela Anderson? Für die meisten: ein roter Badeanzug mit blonder Mähne. Durch das TV-Phänomen „Baywatch“ wurde die damals 22-Jährige rund um den Globus ebenso berühmt wie das Süßgetränk. In 140 Länder warfen „Die Rettungsschwimmer von Malibu“ am Bildschirm ihre Bojen aus. Woche für Woche schnappten 1.1 Milliarden ZuschauerInnen nach Luft, wenn die kalifornischen Hard Bodies ins Meer hetzten, weil jemand nach dem Essen nicht 30 Minuten gewartet hatte, um ins Wasser zu gehen. Ob an den Fliesentischen von Bad Oeynhausen oder in den Hängematten von Isla Ratón wurde die sonnengeküsste Kanadierin zum Inbegriff des All American Products – wie Coca-Cola eine zur Perfektion kalibrierte Künstlichkeit.

Skandalflut
Wären Silikon-Witze Aktien, dann hätten wir in den Neunzigern täglich „Kaufen!“ in unser backsteingroßes Nokia gerufen und Pamela Anderson jede Woche einen Früchtekorb geschickt. Verschwitzte Radio- und Fernsehmoderatoren auf fünf Kontinenten erlaubten sich viel zu intime Fragen und viel zu geschmacklose Kalauer über ihren Körper. Pam lächelte die Dreistigkeiten gekonnt hinweg, kokettierte mit dem Image des Wasserstoffblondchens und kuratierte die eigene Freizügigkeit gekonnt – bis ein Handwerker private Videobänder aus ihrer und dem damaligen Ehemann Tommy Lees Villa stahl und daraus ein Sextape zusammenschnitt. Die intimen Aufnahmen verbreiten sich im Internet in einer Viralität, wie es – nun ja – ein Modem im Jahr 1997 zuließ. (Im selben Jahr wurde übrigens die knapp 50 mal schnellere Wi-Fi-Technik lanciert. Zufall? Oder notgeile WissenschaftlerInnen, die plötzlich Überstunden einlegten?) Bis heute soll das Video über 100 Millionen Dollar Umsatz generiert haben – und keinen Cent davon für Anderson und Lee, auch wenn sich bis heute Verschwörungstheorien darum ranken, das Paar habe den Skandal inszeniert und damit Kasse gemacht:

Erfolgsebbe
Der Irrtum, dass eine Frau, die sich einst für den Playboy ausgezogen hat, damit auch dauerhaft ihr Recht auf Intimsphäre ablegt, begleitet Pamela Anderson bis heute. In den Jahren nach der Sextape-Affäre geriet ihre Laufbahn auf Talfahrt. Olli Pocher winkte Anderson als Stargast für die erste deutsche Ausgabe von „Promi Big Brother“ in den Wohncontainer, in dem Karrieren sonst sanft ins Krematoriumsfeuer geschoben werden. Selbst Pam gefror dabei das höfliche Lächeln im Gesicht. Doch während das Scheinwerferlicht abzukühlen schien, entflammten in Anderson andere Leidenschaften, auf die sie jetzt ihre Energie fokussierte: Tierschutz, politischer Aktivismus und: das Schreiben. Zwei Romane, eine Autobiografie sowie ein Kochbuch hat Pam bislang veröffentlicht, auf Substack unterhält sie zudem einen Blog mit wöchentlichen Updates.
Neuer Tiefgang
Wenn Hollywood-Schauspielerinnen ihren 40. Geburtstag feiern, war das die vergangenen Jahrzehnte ein wenig so, als würde man die Zweitplatzierte einer „Bachelor“-Staffel ins „Promi Big Brother“-Haus abstoßen: der Anfang vom Ende. Doch manches wird in dieser Welt auch besser. Jene Frau, die auf dem Höhepunkt ihrer Berühmtheit wie keine andere auf vermeintliche Künstlichkeit reduziert wurde, wird jetzt für ihre Kunst zelebriert. 2022 gab Anderson ihr erfolgreiches Broadway-Debüt im Musical „Chicago“. Für das Filmdrama „The Last Showgirl“ nominierten sie die Golden Globes und Screen Actors Guild Awards als beste Hauptdarstellerin. Und das Zurich Film Festival zeichnete die 57-Jährige für ihre Leistung mit dem Golden Eye Award aus. Den Glanz hat Pamela Anderson zurückerobert. Auf den Glamour verzichtet sie inzwischen freiwillig: Seit 2023 tritt Pam konsequent ohne Make-up in die Öffentlichkeit und wohnt mit ihren Hunden im kanadischen Küstenstädtchen Ladysmith auf der Farm, wo sie einst aufgewachsen ist. Als Rettungsschwimmerin rettet sie dort niemanden am Strand von Malibu. Aber als Aktivistin vielleicht ein kleines bisschen die Welt.


The Last Showgirl
Lichterlöschen in Las Vegas: Im Glücksspiel-Moloch schließt die Cabaret-Show „Razzle Dazzle“ seine Samttore. Damit steht Shelly (Pamela Anderson), die drei Jahrzehnte lang auf der Bühne mit den Augen zwinkerte, vor dem Nichts. Gefangen zwischen einer Zukunft voller Ungewissheit und einer Vergangenheit voller Reue versucht das Showgirl, nicht seine letzten Federn zu lassen und sich in der Glitzerstadt ein letztes Mal durchzuschlagen. Regisseurin Gia Coppola – Enkelin von Francis Ford Coppola, Nichte von Sofia Coppola – beschert mit dem Filmdrama der Hauptdarstellerin Pamela Anderson ihren künstlerischen Karrierehöhepunkt.
„The Last Showgirl“ von Gia Coppola, mit Pamela Anderson, Dave Bautista u.a., ab 20. März im Kino.
Ebenso ikonisch wie Pam ist Winona Ryder. Warum, liest du hier.
Wie macht sich Pam als Showgirl? Schau den Trailer und mach dir selbst ein Bild.